Es gibt Vorwürfe in der türkischen Endlos-Saga über die Machenschaften des angeblichen nationalistischen Geheimbunds Ergenekon, die weniger vorstellbar scheinen als dieser: Die türkische Armee hat verdeckt Internetseiten betrieben, auf denen sie mit erfundenen Geschichten gegen die konservativ-muslimische Regierung von Tayyip Erdogan agitierte. Teile dieser Propaganda sollen als "Beweis" Eingang in das am Ende gescheiterte Verbotsverfahren gegen Erdogans AKP im Jahr 2008 gefunden haben. Kein Wunder, dass die Regierung noch eine Rechnung offen hat mit den Initiatoren dieser Webseiten.

Die Verhaftung von Ex-Armeechef Ilker Başbug - wiewohl sie sich nur in die seit Jahren laufenden Festnahmen von Generälen reiht - hat ungewöhnliche Reaktionen gezeitigt. Bis zum Richterentscheid gelte für den Angeklagten die Unschuldsvermutung, stellte etwa Staatspräsident Abdullah Gül fest. Das ist ein Satz, den man so bei anderen Verfahren nicht gehört hat. Im Gegenteil: Regierungschef Erdogan hatte die ebenfalls wegen Staatsverschwörung verhafteten Journalisten mit Bombenlegern verglichen, denen vor der Tat das Handwerk gelegt worden sei.

Was das Land braucht, ist Klarheit: ein Bekenntnis zur liberalen Demokratie, eine neue Armee, eine neue Verfassung. Die Verhaftungsmaschine, die in der Türkei Tag für Tag arbeitet und Linke wie Rechte, Kurden und Türken als Teil einer Terrororganisation anklagt, steht dem im Weg. (DER STANDARD-Printausgabe, 09.01.2012)