Unter den Innenministerinnen und -ministern der vergangenen Jahrzehnte steht sie damit wahrlich nicht allein da: Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat mit ihrer Anti- "Asylmissbrauchs"-Kampagne zum neuen Jahr 2012 ein politisches Zeichen gesetzt.
Anlass bot eine Bilanz: 2011 haben in Österreich um 31 Prozent mehr Menschen um Schutz ersucht als im Jahr davor - in Zahlen 14.426 statt davor 11.012 -, eine Steigerung auf zahlenmäßig niedrigem Niveau. Darauf reagierte die Ressortchefin mit großteils unbrauchbaren Argumenten, nur geeignet, das ohnehin schon miese Image von Flüchtlingen in Österreich noch tiefer in den Keller zu treiben. Die Gründe für Verwerfungen im Flüchtlingswesen, hausgemachte ebenso wie EU-weit herrschende, ignorierte sie dabei völlig.
Stattdessen erzählte sie Journalisten bei einem Frühstückstermin, dass "Österreich ein Magnet für Schlepper" sei und ein "Versorgungsparadies für rechtskräftig abgewiesene Asylwerber", weil diesen nicht in allen Fällen sofort die Grundversorgung gestrichen werde. Wovon diese Menschen, etwa wenn sie nach einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht abschiebbar sind, dann leben sollen? Auf diese Frage gab es keine befriedigende Antwort.
Nur die FPÖ freute sich: "Die Beschwerdemöglichkeit beim Verfassungsgerichtshof muss gestrichen werden", forderte Heinz-Christian Strache, als Original in Sachen Asylwerberhetze wie immer die ministerielle Verschärfungsarie übertönend.
Und dann gingen die Ministerin und ihre Beamten hart mit alleinstehenden Kindern ins Gericht: mit Minderjährigen, die hier Asyl beantragen, die aber - so Mikl-Leitner - meist "Ankerjugendliche" seien. Diese würden nach Österreich bloß vorausgeschickt, um als anerkannte Flüchtlinge später die Familie nachzuholen. In der Realität ist das zwar nur in wenigen Fällen möglich, aber manchem Medienvertreter erschien es überzeugend: Erste Berichte von "Kindern an der Asylfront" und Ähnlichem wurden bereits gesichtet
Überhaupt reicht Mikl-Leitners simple und stigmatisierende Erklärung keineswegs aus, um zu verstehen, warum inzwischen sogar schon Zwölfjährige unbegleitet auf den langen, lebensgefährlichen Weg ins reiche Europa geschickt werden. Warum ihre Zahl in der gesamten EU tendenziell steigt, in Österreich 2011 im Vergleich zu 2010 um 65 Prozent.
Vielmehr dürfte es sich um Kinderverschickungen aus Verzweiflung handeln. Etwa, in Afghanistan, als Versuch, dem Nachwuchs Zwangsrekrutierungen der Taliban zu ersparen - also getragen von der Hoffnung, zumindest die junge Generation möge es einmal besser haben. Weil Erwachsene, auch wenn sie eindeutige Asylgründe haben, immer weniger Chancen auf Schutz im abgeschotteten Europa haben. Nicht zuletzt aufgrund der Dublin-II-Verordnung: Für das Asylverfahren ist jener EU-Staat zuständig, den ein Flüchtling zuerst betreten hat. Die Straßburger wie Luxemburger Höchstgerichte haben dies relativiert, dennoch werden jährlich tausende Menschen quer durch Europa verschickt. Sie gehen dabei psychisch vor die Hunde - nur Minderjährige bleiben von dieser Tortur vielfach verschont.
Die Dublin-II-Verordnung ist für Mikl-Leitner, wie sie sagt, unverzichtbar. Statt ehrlich auf Abhilfe zu sinnen, ist ihr der "Asylmissbrauch"-Sprech offenbar lieber. (DER STANDARD-Printausgabe, 9.1.2012)