Probeflächen auf dem österreichischen Hochschwab - alle 32 StudienautorInnen benutzten die gleiche Untersuchungsmethodik.

Foto: Harald Pauli

Wien - Der Klimawandel hat stärkere Auswirkungen auf die Vegetation der Alpen als bisher angenommen, wie ein internationales Team unter Leitung von Forschern der Universität Wien und der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in der ersten paneuropäischen Studie zum Vegetationswandel im Hochgebirge gezeigt hat. Kälteadaptierte Pflanzen werden zunehmend von wärmeliebenden Arten aus ihren Lebensräumen verdrängt und alpine Urwiesen und Felsflure dadurch gefährdet. Die Ergebnisse werden im Fachjournal "Nature Climate Change" veröffentlicht.

Das Forscherteam hat in den Jahren 2001 und 2008 auf 867 Probeflächen auf 60 verschiedenen Gipfeln in allen größeren europäischen Hochgebirgen niedrigwüchsige Pflanzengemeinschaften oberhalb der Baumgrenze untersucht. Die Studie ist laut Aussendung die bisher breitest angelegte ihrer Art. Stattgefunden hat sie im Rahmen des Programms GLORIA (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments), das 2001 durch Uni Wien und ÖAW gegründet wurde und bei dem mittlerweile mehr als 100 Forschungsgruppen aus sechs Kontinenten standardisiert die Gebirgsvegetation und ihre Reaktion auf den Klimawandel beobachten. Eine Folgeuntersuchung ist für 2015 geplant.

"Deutliches Ausmaß" der Wanderung

Die Forscher hatten zwar mit einer Zunahme von wärmeliebenden Pflanzen in größeren Höhen gerechnet - "aber nicht in diesem deutlichen Ausmaß und in so kurzer Zeit", so Michael Gottfried vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der Uni Wien. "Viele kältetolerante Arten wandern buchstäblich in den Himmel. In einigen der niedrigeren europäischen Gebirge können wir beobachten, wie die offene alpine Graslandschaft verschwindet und Zwergsträucher den Lebensraum in wenigen Jahrzehnten erobern werden", warnt der Forscher.

Derzeit gebe es noch keine Befunde dafür, dass schon Pflanzen in Österreich oder Europa ausgestorben seien, weil sie nicht mehr in größere Höhen ausweichen können, so Gottfried. Es gebe aber Hinweise, dass viele Arten zurückgehen. Sollte die derzeitige Entwicklung anhalten, würden in einigen Jahrzehnten diverse Edelweiß- und Enzianarten verschwinden, aber auch weniger bekannte Sorten, die eine wichtige Rolle für die genetische Vielfalt spielen.

Phänomen der "Thermophilisierung"

In regionalen Untersuchungen sei bereits ein direkter Zusammenhang zwischen erhöhten Sommertemperaturen und der Veränderung alpiner Lebensgemeinschaften nachgewiesen worden. "Unsere Ergebnisse demonstrieren diese Entwicklung erstmals für den gesamten europäischen Kontinent", sagte Gottfried. Die Forscher sprechen vom Phänomen der "Thermophilisierung", das mit ihrer Untersuchung erstmals quantitativ erfasst und als messbarer Indikator definiert worden sei. Harald Pauli vom Institut für Gebirgsforschung der ÖAW hofft nun, dass dieser "Thermophilisierungs-Indikator" weltweit von anderen Forschergruppen übernommen und damit ein globaler Vergleich möglich wird.

Dabei ist das Phänomen unabhängig von der Seehöhe und von der geografischen Breite - es findet sich von der Baumgrenze bis zu den höchsten Gipfeln und von Schottland bis zu den Gebirgsregionen Kretas. "Unsere Arbeit belegt, dass der Klimawandel auch die entlegensten Winkel der Biosphäre beeinflusst", sagte Georg Grabherr vom "Institut für Gebirgsforschung: Mensch und Umwelt" der ÖAW, der das Programm GLORIA leitet. Die Thermophilisierung im Hochgebirge könne örtlich nicht begrenzt werden, "menschliche Anpassungsstrategien sind keine Option. Wir müssen uns dringend auf die Vermeidung noch stärkeren Klimawandels konzentrieren, um den biogenetischen Schatz der Natur zu wahren". (APA/red)