Der italienische Regisseur Elio Petri mit gefesseltem Franco Nero, Hauptdarsteller in "Un tranquillo posto di campagna".

Foto: Filmmuseum

Meister der starken Gefühle: Guiseppe de Santis.

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Wien - Im Wilden Westen stand auf Viehdiebstahl der Tod. Das ist heute, da viele Menschen Rinder nur noch in vakuumverpackten Stücken kennen, nicht mehr leicht nachzuvollziehen. Die strenge Strafe verweist auf einen ursprünglichen Kern: Mit einer kleinen Herde Vieh, mit ein paar Metern Land können Menschen sich in Sicherheit bringen. Sie haben dann ein kleines Auskommen wie die Familie Domenici in dem italienischen Film Non c'è pace tra gli ulivi (Kein Friede unter den Olivenbäumen, 1950). Aber die Schafherde, um die es hier geht, wurde gestohlen. Während der Sohn der Domenicis im Krieg war, hat der lokale Potentat Bonfiglio die Schafe an sich gebracht. Mit einer simplen Fälschung hat er aus dem Brandzeichen D ein B gemacht, damit wird Francesco (Raf Vallone) zu einem Viehdieb, als er die Herde zurückholt.

Das Drama, das sich daraus entwickelt, ist vielschichtig und hat nicht zuletzt eine juridische Ebene. Denn dieser Film von Giuseppe de Santis hat, wie die meisten Klassiker des Neorealismus, ein zentral gesellschaftstheoretisches Motiv - es geht darum, wie aus der Natur (oder aus dem Krieg) ein Zustand entstehen kann, in dem nicht mehr einfach das Recht des Stärkeren gilt. Das war auch schon das Thema im Western, und man kann nun an Non c'è pace tra gli ulivi sehr schön sehen, wie sich die Motive überschneiden.

Das Filmmuseum zeigt diesen und weitere Filme von Giuseppe de Santis in einem Programm, das zugleich auf den Regisseur Elio Petri eingeht. Zusammengenommen ergibt sich daraus eine Vertiefung der Beschäftigung mit dem italienischen Nachkriegskino, die in dieser Form konkurrenzlos ist und mit der die Wiener Kinemathek Pionierarbeit leistet. Denn immer präziser lassen sich nun Strategien und Ideen ausnehmen, die modellhaft für nahezu alle nationalen Kinematografien gelten können.

De Santis ist dafür deswegen ein besonders gutes Beispiel, weil er unter den Neorealisten als der Populist galt, als einer, der in seinen "Fingierungen" der zeitgenössischen Umstände auf starke Zeichen und intensive Gefühle setzte. Die Geschichte von Francesco Domenici hat zweifellos melodramatische Elemente und berührt das Politische auf einer bewusst archaisierenden Ebene - nicht von ungefähr zieht die Filmhistorikerin Angela Dalle Vacche Parallelen zu Alessandro Blasettis Nationalepos 1860.

Was De Santis in Filmen wie Bitterer Reis oder Tragische Jagd verhandelte, nahm fast durchwegs die Grenze zwischen Gesetz und Illegalität zu einem Bestimmungspunkt, von dem her die Nachkriegsordnung zu kritisieren war. Damit deutet sich schon das Interesse des späteren politischen Kinos an, das nicht mehr in den Landschaften des agrarischen Italien seine Fälle fand, sondern in den Institutionen, die ein entwickeltes Gemeinwesen hervorbringt. Die extreme Spanne der Schau kann man an dem Abend durchmessen, an dem nach Non c'è pace tra gli ulivi der (fast) letzte Film von Elio Petri läuft: Todo Modo, ein grimmiges Protokoll der Zerstörungskräfte in der christdemokratischen Partei.

Mit dem Vorwurf an Roberto Rossellini, er stünde der Democrazia Christiana nahe, hatten einst die ideologischen "Säuberungen" des Neorealismus begonnen. Erst aus der heutigen Perspektive ist deutlich zu erkennen, dass es niemals reine Formen gegeben hat, sondern dass Filmgeschichte immer schon in einem ständigen Prozess der Umschrift und der Abbildung entsteht:

Wie eine Nation sich selbst versteht, die Kraft zur Erneuerung findet, dafür gibt es keine Formeln. Die Paarung von Giuseppe De Santis und Elio Petri steht dabei für einen Prozess der Modernisierung, der von Francesco Domenici, der noch auf die Handlungsmacht des Individuums vertraut, zu einer Arbeiterklasse führt, die "ins Paradies" der Konsumgesellschaft eintreten soll. Politische Verluste und künstlerische Profite sind vor diesem Hintergrund nicht miteinander verrechenbar - das vor allem wird in dieser Reihe deutlich. (Bert Rebhandl, DER STANDARD - Printausgabe, 10. Jänner 2012)