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Kinder mit einer anderen Erstsprache sollen noch vor der Volksschule Deutsch lernen, und zwar so schnell wie möglich, das sieht ein Gesetzesentwurf vor. Diese Erwartungen widersprechen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sagen Sprachforscher.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz feierte die Verlängerung der sprachlichen Frühförderung als Erfolg, nun stellen ihr Sprachwissenschafter ein vernichtendes Zeugnis aus. In den Stellungnahmen von Sprachwissenschaftern wird an dem betreffenden Gesetzesentwurf vor allem kritisiert, dass er den aktuellen wissenschaftlichen Standards nicht entspricht. "Die Vereinbarung weckt die Illusion, den 'Problemfall' mehrsprachiges Kind mit geringen Deutschkenntnissen 'beseitigen' zu können", heißt es etwa in dem Kommentar zum Entwurf des Gesetzes vom "Netzwerk Sprachenrechte", der derStandard.at vorliegt. 

Laut der 15a-Vereinbarung stellt der Bund den Ländern fünf Millionen Euro zu Sprachförderung von Kindern zwischen drei und sechs Jahren zur Verfügung. Voraussetzung ist, dass die Länder das Geld verdoppeln. Diese Maßnahme gibt es bereits seit 2008, eigentlich sollte sie im Jahr 2010 auslaufen, Staatssekretär Kurz konnte allerdings durchsetzen, dass sie nun bis 2014 verlängert wird.

Sprache wird mit Deutsch gleichgesetzt

Der Hauptkritikpunkt der Sprachwissenschafter ist, dass im Gesetzesentwurf Sprachförderung mit der Förderung von Deutschkenntnissen gleichgesetzt wird. Die Subventionierung der Förderung der Erstsprache von Kindern mit Migrationshintergrund ist nicht vorgesehen.

"Es ist auf jeden Fall zu begrüßen, dass die Vereinbarung wieder verlängert wird und dass der Entwurf verfasst wurde, weil es so wieder mehr in die Aufmerksamkeit der Gesellschaft rückt, dass die sprachliche Frühförderung sehr wichtig ist. Es gibt aber einige Punkte, die zu kritisieren sind, und es wäre gut, wenn der Entwurf noch geändert werden könnte", sagt Sprachwissenschafterin Ewelina Sobczak im Gespräch mit derStandard.at. "Es ist nur von der Unterrichtssprache Deutsch und nicht von anderen Sprachen, die von den Kindern mitgebracht werden, die Rede." Der Spracherwerb sei aber ein sehr komplexer Prozess. "Wenn mit Sprachförderung in diesem Entwurf eigentlich nur Deutschförderung gemeint, ist das ungerecht", sagt Sobczak, die in einem Kindergarten der Stadt Wien zum Thema Spracherwerb und Mehrsprachigkeit von Kindern forscht. 

Eltern sollen mit Kindern nicht Deutsch sprechen

Im Gegensatz zu gängigen Annahmen würde es sich negativ auswirken, wenn Eltern, die ihre Muttersprache besser als Deutsch beherrschen, plötzlich mit ihren Kindern Deutsch sprechen. Es gehe darum, dass Kinder die Sprache von Anfang an erwerben, die ihre Eltern meistern und die ihnen naheliegt. Auch das Erwerben mehrerer Sprachen sei so möglich. "Das Kind ist mitten im Spracherwerbsprozess. Es hat sich schon Strukturen in der Erstsprache erworben, die für alle Sprachen gelten. Zum Beispiel, wie man auf eine Frage sozial adäquat reagiert", erklärt Sobczak.

Überprüfung schwierig

Ein weiterer Punkt, der am Entwurf zu sprachlichen Frühförderung kritisiert wird, ist, dass daraus nicht klar hervorgeht, wie der Spracherwerb überprüft werden soll. Im Entwurf ist nur von "jenen sprachlichen Kompetenzen, die beim Eintritt in die erste Schulstufe der Volksschule gegeben sein sollen", die Rede. Besonders in der frühkindlichen Phase sei es schwierig, anhand von Sprachstandsfeststellungen die Sprachaneignung überhaupt zu prüfen, heißt es in der Stellungnahme des "Netzwerks Sprache". Im Entwurf ist so eine Sprachstandsfeststellung zweimal im Jahr vorgesehen.

"Es gibt kein Instrument zur Einschätzung des Sprachstandes, das hundertprozentig treffsicher ist. Darüber hinaus gibt es sehr wenige Verfahren, die den Sprachstand der Kinder auch in anderen Erstsprachen als Deutsch überprüfen", sagt auch die Sprachwissenschaftlerin Sobczak. Es sei nirgendwo formuliert, worauf diese Standards beruhen sollen. Problematisch sei auch, dass die Konzepte und die Schlussberichte der Länder von Österreichischen Integrationsfonds, der dem Innenministerium untersteht, überprüft werden. Bisher oblag diese Aufgabe dem Unterrichtsministerium, wo es mehr Personal mit sprachwissenschaftlichen Kenntnissen gäbe.

"Sprache ist keine Pille"

In der Stellungnahme des Verbands für Angewandte Linguistik heißt es, dass der Gesetzesentwurf zudem dem "zeitlichen und prozessualen Aspekt von Spracherwerb nicht Rechnung trägt". Spracherwerb sei sehr komplex und könne nicht in einem bestimmten Zeitrahmen erfolgen. "Das ist ein langwieriger Prozess, das kann man nicht in einer Pille verabreichen", sagt auch Sobczak. Die Begutachtungsfrist des Gesetzesentwurfes zur sprachlichen Frühförderung ist am 5. Jänner ausgelaufen. Vor der Einführung des Gesetzes können die kritisierten Punkte noch geändert werden. (Lisa Aigner, derStandard.at, 10.1.2012)