Bild nicht mehr verfügbar.

Die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in den französischen Vorstadtquartieren ist Hauptursache der immer wieder aufflackernden Krawalle - hier in Lyon im Herbst 2010.

Foto: Reuters/Balibouse

Es herrscht Sparzeit - doch auf dieses 50-Millionen-Geschenk hätte Frankreich gerne verzichtet. Einen Euro-Betrag in dieser Höhe investiert das Scheichtum Katar am Persischen Golf in die französischen Vorstädte. Jungunternehmer oder solche, die es werden wollen, können in Paris, Lyon oder Marseille entsprechende Projekte einreichen. Obwohl die Aktion erst seit ein paar Tagen läuft, hat die Botschaft Katars in Paris bereits 80 Lebensläufe und 150 Dossiers für Unternehmensgründungen nach Doha weitergeleitet.

"Auf einmal ist unsere Identität kein Handikap mehr, sie wird vielmehr aufgewertet", meint Kamel Hamza, der Vorsteher des Vereins von Lokalpolitikern mit Immigrationshintergrund (Aneld). Der zur bürgerlichen Sarkozy-Partei UMP gehörige Vertreter des Banlieue-Ortes La Courneuve war Ende letzten Jahres mit Parlamentarierkollegen aller Parteien einer Einladung nach Katar gefolgt. Dort überreichte ihnen Scheich Hamad bin Chalifa Al-Thani einen Scheck über 50 Millionen Euro mit der Auflage, tragfähige Banlieue-Projekte zu verwirklichen.

"Beide Seiten gewinnen"

"Das ist keine gemeinnützige Aktion oder Mäzenatentum, sondern eine für beide Seiten gewinnbringende Investition", meint Hamza. Ein Projekt betrifft etwa die Renovierung von Liften, die in den heruntergekommenen Wohnsilos oft monatelang auf eine Reparatur warten.

Die französische Regierung begrüßt die Hilfe von außen offiziell als "positives Zeichen für die Anerkennung der Talente und Kapazitäten in diesen Volksquartieren", wie Stadtminister Maurice Leroy meint. Diese Reaktion hat allerdings vor allem diplomatische Gründe, sieht doch Präsident Nicolas Sarkozy Katar als wichtigen Verbündeten im Nahen Osten.

In Wirklichkeit löst die dargebotene Hand aus Doha in Frankreich eher verlegene Reaktionen aus. 50 Millionen Euro sind eine erkleckliche Summe, wenn man sie mit dem Gesamtbudget des französischen Staates für die Vorstädte - 548 Mio. Euro - vergleicht. Fast zehn Prozent der öffentlichen Aufwendungen für die Problemzonen kommen also künftig aus dem Ausland - in einem Land wie Frankreich, wo der Staat traditionell eine starke Rolle spielt.

Der sozialistische Senator Claude Dilain ist deshalb gegen den katarischen Investitionsfonds. "Das ist ein Beleg für die Spaltung zwischen französischer Gesellschaft und den Banlieue-Gebieten, und diese Entwicklung sollten wir nicht noch fördern", meint der frühere Bürgermeister von Clichy-sous-Bois, wo vor Jahren eine Serie von Banlieue-Krawallen begonnen hatte.

Der Politologe Mohamed Ali Adraoui wundert sich dagegen nicht über den Erfolg der Aktion: "Viele Jugendliche finden trotz ihrer Diplome keine Arbeit. Frankreich verhält sich deshalb in ihren Augen heuchlerisch. In Katar werden sie hingegen nach ihren wirklichen Fähigkeiten beurteilt."

Die spürbare Skepsis in Frankreich gegenüber dem Vorgehen des Scheichtums gilt allerdings auch seinen verdeckten Motiven. "Wie weit wird Katar noch gehen?", fragt die Zeitung Le Monde. Über das Wochenende ist in Paris bekanntgeworden, dass das Unternehmen "Qatar Sports Investments" den ihm gehörigen Fußballklub Paris Saint-Germain (PSG) in das große, aber häufig leerstehende Stade de France verlagern will. Das hätte eine starke symbolische Bedeutung. Denn PSG hat einen sehr "bürgerlichen" Ruf; sein heutiges Stammstadion im Parc des Princes liegt im schicken Westteil der Hauptstadt. Das Stade de France befindet sich jedoch in einer unwirtlichen Banlieue-Zone. Das würde die PSG-Anhänger zwingen, wöchentlich in die "heißen" Vororte zu reisen. Wenn man die mentale "Trennung" der französischen Gesellschaft aufheben möchte, wie Dilain sagt, gäbe es allerdings kein besseres Mittel. (DER STANDARD Printausgabe, 10.1.2012)