Port-au-Prince/Wien - Wenn es ein Symbol für den mühsamen Wiederaufbau in Haiti gibt, dann ist es der Präsidentenpalast im Stadtzentrum von Port-au-Prince. Ein paar neue Fenster wurden eingesetzt, sonst ist das während des Erdbebens vom 12. Jänner 2010 zusammengesackte Gebäude praktisch unverändert. Ein Problem, dass in der verwüsteten Hauptstadt des Inselstaates auch zwei Jahre nach der Katastrophe, bei der 222.000 Menschen starben, allgegenwärtig ist.
Mehr als eine halbe Million Menschen leben nach wie vor in Camps, heißt es bei der interstaatlichen International Organisation for Migration (IOM). Und die Rate jener, die diese Zeltstädte verlassen und zumindest in Übergangshäuser zurückkehren können, verlangsamt sich monatlich.
Selbst bescheidene Kosten zu hoch
Ein zweites Problem: Immer mehr Menschen wohnen in immer größeren Lagern zusammen. Im Herbst lebten 60 Prozent der Obdachlosen in lediglich acht Prozent aller Notunterkünfte. Die Gründe sind vielfältig: So werden erst jetzt die Bemühungen wirklich verstärkt, den Bauschutt aus Port-au-Prince zu entfernen. Dazu sind viele der Campbewohner so arm, dass sie selbst bescheidene Kosten für die "Transitional Shelters" genannten einfachen Häuschen nicht aufbringen können. Wenn sie zuvor Mieter waren, haben sie auch wenig Chancen, vor einer kompletten Wiedererrichtung ihres ehemaligen Hauses ein Dach über dem Kopf zu bekommen.
Die Misere lässt sich auch an den Zahlen des Büros des UN-Sonderbeauftragten für Haiti, des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, ablesen. Demnach würden für den Wiederaufbau umgerechnet 580 Millionen Euro benötigt. Bei der internationalen Geberkonferenz kurz nach dem Beben wurden für diesen Sektor von der Staatengemeinschaft aber nur 127 Millionen Euro versprochen - ausbezahlt wurden in den gut eineinhalb Jahren seither nur 41 Millionen.
Präsident will Armee gründen
Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass Haitis Präsident Michel Martelly mit einem im November präsentierten Plan massive Kritik hervorruft. Denn er will wieder eine eigene haitianische Armee ins Leben rufen. Kostenpunkt: umgerechnet 73 Millionen Euro. Mit der Armee soll ein Sicherheitsvakuum, das durch die Reduzierung der UN-Schutztruppe droht, vermieden werden.
Diese UN-Truppe steht bei den Haitianern mittlerweile im Zwielicht. Nicht nur, dass wahrscheinlich nepalesische Blauhelme die Cholera auf den Inselstaat gebracht haben (siehe Artikel unten). Auch Übergriffe werden gemeldet - im Herbst tauchte ein Video auf, das fünf uruguayische Soldaten bei der Vergewaltigung eines 18-Jährigen zeigte. Die UN-Truppen bleiben dennoch auf der Insel - allerdings in reduziertem Umfang. Heuer sollen 2750 Soldaten abgezogen werden - die 10.500 Männer und Frauen, die dann noch stationiert sein werden, bilden immer noch eine deutlich größere Einheit als vor dem Erdbeben. (Michael Möseneder, DER STANDARD, Printausgabe, 10.1.2012)