Ein Dorf des Dogon-Lands, in jenem Gebiet, in dem heute der afrikanische Staat Mali liegt. 

Foto: Bundeskunsthalle

Archetypische Dogon-Kunst aus Afrika. 

Foto: Bundeskunsthalle

Mit nur einem erhobenen Arm wird die Begrüßung der weiblichen Wächterfigur zum Ausdruck gebracht: eine wirkungsvoll Geste, die eine höhere Ahnenebene zu beschwören scheint. Eingeschnitzte Perlenketten und üppiger Halsschmuck dokumentieren den Rang einer Gott-Mutter, unter deren hängenden Brüsten ein Pärchen aus vermutlich Sohn und Tochter integriert ist. Man denkt an gotische Stifter- und Andachtsfiguren. Doch die Figur in der Ausstellung Dogon - Weltkulturerbe aus Afrika in der Bundeskunsthalle Bonn scheint aber eher eine Gottheit zu sein, die Einheit stiften will, ebenso wie die Masken, die die Einheit zwischen Mensch und Fetisch herstellen wollen.

Das größer als mannshoch ausgeführte hölzerne Meisterwerk der Dogon-Kultur - eine Identitätsikone für den gesamten afrikanischen Kontinent - entstand vermutlich schon im 10. Jahrhundert auf dem Gebiete des heutigen Mali am südlichen Rand der Sahara. Dort lag das Dogon-Land vor den schrundigen Felsenkulissen von Bandiagara.

Gäste aus Paris

Allerdings handelt es sich bei fast allen der rund 270 Skulpturen, Masken und Alltagsobjekte um Gäste aus dem Pariser Musèe du quai Branly, einer der bedeutendsten ethnologischen Schatzkammern.

Picasso, Matisse, Brancusi, Derain oder Modigliani entdeckten nach 1900 die sogenannte "Negerplastik" für die europäische Moderne und schlachteten die abstrakten Kraftpakete unter dem Mäntelchen eigener Kreativität hemmungslos aus. Auch Georg Baselitz, deutscher "Malerfürst", ist für seine Sammlung afrikanischer Skulpturen und Objekte bekannt; Bezüge zum eigenen plastischen Werk inbegriffen. Als eigenständige Hochkunst mit eigenem Copyright wurden die Masken, Fetische und Kultfiguren Afrikas erst allmählich akzeptiert und vor allem aufgearbeitet. Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig sprach vor 20 Jahren gar von der "Erfindung der Figur".

Das Identifizieren einzelner Meister innerhalb dieser natur- und dingorientierten Dämonen-, Geister- und Ahnenwelt gestaltet sich äußerst schwer. Dass Kolonialmächte wie Belgien und Frankreich bis heute den diesbezüglichen Kunsthandel dominieren und herausragende Museumssammlungen ihr Eigen nennen, beschreibt eine meist düstere Sammlungsgeschichte mit bis heute blutenden Wunden der Länder West- und Ostafrikas, deren kulturelle Identität da oft geraubt wurde.

Deutlich wird das beim Bonner Blick auf die Stilsprachen der Dogon-Ästhetik, die 1989 das Unesco-Gütesiegel "Weltkulturerbe" erhielt. Der Streit zwischen Ethnologie, Ethnografie, Kolonialgeschichte und Anthropologie einerseits sowie der Ästhetik und Kunstwissenschaft andererseits belegt die Brisanz der Wertungsgeschichte afrikanischer Kunst.

Vor allem die Ethnopsychoanalyse, die seit dem Zweiten Weltkrieg von Anthropologen wie Marcel Griaule, Paul Parin, Claude Levi-Strauss und Fritz Morgenthaler begründet wurde und sich besonders auf die Riten, Mythen und Kultur der Dogon konzentrierte, schuf das erste kritische europäische Bewusstsein für eine ferne Welt.

Patina und Termiten

Authentisch und in jeder Hinsicht wertvoll sind diese Plastiken und Gegenstände stets nur dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum in ihrem Entstehungsraum eingesetzt wurden, entsprechende Patina und Spuren aufweisen.

Diese Vintage-Aura reicht selten weiter zurück als bis ins 19. Jahrhundert. Die Gründe dafür liegen im extremen Klima Afrikas oder in den Attacken der Flora - etwa durch Termiten. Als Kunsthandelsobjekt ist diesen Figuren allerdings nicht selten ein schickes abstraktes Dekordasein beschieden: Dogon-Wächterfigur auf Bauhaus-Tischchen - natürlich beides absolut authentisch.

Also zumindest für den konservatorischen Erhalt sorgten die europäischen Sammlungen. Beim Pariser Start der Dogon-Schau setzte man noch ganz auf die Ästhetik, klammerte die heiklen kolonialistischen Themen aus. Bonn unternimmt zumindest mittels Wandtexten und einer Filmdokumentation den Versuch, kritische Informationen zu präsentieren. Ein Lokalpolitiker im heutigen Dogon-Land wollte von den täglich 1500 Besuchern der Pariser Ausstellung einen Euro pro Karte in die Entstehungsregion zurückfließen sehen: ohne Erfolg. In Bonn wird das zumindest diskutiert. (Roland Groß aus Bonn, DER STANDARD/Printausgabe 11. Jänner 2012)