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Das Klischee der "heilen" Familie ist zerbröselt - doch Österreichs Familienförderung fällt immer noch sehr traditionell aus.
Wien - Die genaue Zahl kennt niemand. Das Ministerium winkt ebenso ab wie die Expertenschaft. Am nächsten kommt noch der Rechnungshof: Allein im Bund und den drei ausgewählten Ländern Kärnten, Oberösterreich und Salzburg zählten die Prüfer 117 Familienleistungen. Grob hochgerechnet auf ganz Österreich existieren wohl weit mehr als 200 einschlägige Fördervarianten.
Das läppert sich: Rund 9,4 Milliarden Euro schüttete der Staat 2010 laut Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) für die Familien aus, das ist ein Plus von 19,3 Prozent seit 2006. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt stiegen die Ausgaben damit von drei auf 3,3 Prozent. Der Zuwachs ergibt sich aus dem Ausbau der Kinderbetreuung, dem höheren Kinderabsetzbetrag sowie aus Kosten für Jugendwohlfahrt, die aus wachsenden Sozialproblemen resultieren.
Der Löwenanteil entfällt mit 8,2 Milliarden auf den Bund, wo sich nicht weniger als sieben Ressorts mit eigenen Förderungen konkurrieren. Noch viel mehr Spielarten gibt es aber in den Ländern. Schon Kärnten, Oberösterreich und Salzburg kommen zusammen auf 70 Leistungen - von Babygeldern über Urlaubszuschüsse bis zum Zubrot für Mehrlingsgeburten.
Aber kommt das viele Geld auch bei jenen an, die es wirklich brauchen? Mangels "gesamthafter Abstimmung" hegt der Rechnungshof begründete Zweifel und stellt - wie es im Fachjargon heißt - "Überlappungen", "Parallelitäten" und "Zielkonflikte" fest. So knüpften sich etwa an den Sachverhalt "Schwangerschaft und Geburt" allein im Bund zehn verschiedene Leistungen.
Die öffentliche Hand, bekritteln die Rechnungsprüfer, habe als Finanzier keine Einsicht, wie viel eine einzelne Familie in Summe bezieht. Auch das Familienministerium selbst hätte da gerne besseren Durchblick und bastelt deshalb gerade an einer Datenbank, die sämtliche Leistungen von Bund und Ländern auflisten soll.
Margit Schratzenstaller kommt am Wort "Dschungel" nicht vorbei, wenn sie über die Familienpolitik spricht. "Licht ins Dickicht" fordert die Wifo-Expertin, Leistungen müssten zusammengelegt und koordiniert werden. Dies sei nicht nur notwendig, um die Verwaltungskosten zu senken und den Bürgern die Chance zum Durchblick zu geben - vor allem, wenn sie von einem Bundesland ins andere ziehen. Erst in der Gesamtschau lasse sich beurteilen, ob die Familienförderung auch die propagierten Ziele erreiche.
Schratzenstaller bezweifelt das. Fast alle Politiker reden etwa davon, dass die Nation mehr Kinder brauche. Doch trotz der hohen Familienförderung liegt die Geburtenrate pro Frau mit 1,44 deutlich unter dem EU-Schnitt. Österreich gebe zu viel Geld für die falschen Zwecke aus, glaubt Schratzenstaller - und zwar für monetäre Goodies statt für Kinderbetreuung. "Es ist nicht einzusehen, dass die Länder da auch noch eigene Leistungen anbieten", sagt sie. Die dort einzusparenden Summen sollten in die Kinderbetreuung fließen.
In die gleiche Richtung wollen Arbeiterkammer und Industriellenvereinigung: Zusammenlegung oder Abschaffung von Geldleistungen, dafür Förderung von Kinderbetreuung. Auf Gegenliebe stößt das Konzept allerdings nur in einer Regierungspartei - die ÖVP ist strikt dagegen. (Gerald John, DER STANDARD; Printausgabe, 11.1.2012)