
Mamun al-Homsi (56) war unabhängiger Abgeordneter und Geschäftsmann in Syrien. Er gehörte zu den ersten Dissidenten, denen 2001 nach dem "Damaszener Frühling" der Prozess gemacht wurde. Homsi war fünf Jahre im Gefängnis und floh danach ins Ausland.
Das Land brauche mehr Druck von außen, sagte er zu Astrid Frefel in Kairo.
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STANDARD: Weshalb sind Sie gegen die Beobachter der Arabischen Liga und verlangen ihren Rückzug?
Homsi: Das Projekt ist gescheitert. Es verschleiert die Verantwortung für die Gewalt. Einige der Beobachter machen gemeinsame Sache mit der Regierung, andere sind gewissenhaft, und es gibt solche, die im Fernsehen Dinge behaupten, die nie geschehen sind. Die Tatsache, dass 400 Menschen getötet wurden, seit sie vor Ort sind, belegt das Scheitern.
STANDARD: Dann hatte die Mission überhaupt keinen Effekt?
Homsi: Der einzige Effekt ist, dass das Regime weitermachen kann, die Vereinten Nationen nicht intervenieren und alle weiterhin schweigen wie in den vergangenen zehn Monaten.
STANDARD: Deshalb fordern Sie ein internationales Eingreifen?
Homsi: Es gibt 10.000 Tote, die Lage wird jeden Tag komplizierter. Papiere, Verhandlungen und Diplomatie haben nichts gebracht. Wir brauchen Druck von außen, der das Regime spaltet. Aber es muss alles unternommen werden, damit mit Religion nicht Politik gemacht wird. Das sage ich als liberal-konservativer Sunnit. Die Identität von Syrien ist Koexistenz. Es gibt keine militärische Lösung, also würde eine militärische Intervention der UN auch nicht helfen. Ich habe schon vor fünf Jahren ausländische Regierungen gewarnt, Bashar werde nie Frieden machen. Und noch heute erhält er unter dem Tisch viel Hilfe.
STANDARD: Was soll die Rolle der Deserteure sein, die sich in der Freien Syrischen Armee (FSA) zusammengeschlossen haben?
Homsi: Die FSA muss Teil jeder internationalen Initiative sein. Man muss sicherstellen, dass sie nicht von Einzelinteressen monopolisiert wird, sondern nur dem nationalen Interesse dient - und nicht etwa ausländischen Akteuren, zum Beispiel der Türkei. Hauptaufgabe der FSA müsste es sein, das Blutvergießen zu stoppen.
STANDARD: Warum fallen nicht mehr Mitglieder der Regierung und Wirtschaftselite vom Regime ab?
Homsi: Ich gehörte zu diesem Kreis, ich hatte fünf Fabriken. Aber viele sind feige, und der Druck der Geheimdienste ist äußerst stark. Es besteht immer die Gefahr, dass die Familie als Geisel genommen wird. Doch der Wirtschaft geht es immer schlechter, wir werden bald mehr Deserteure in der Wirtschaftselite sehen.
STANDARD: Die syrische Opposition ist sehr heterogen, manchmal sogar zerstritten. Weshalb gelingt keine Einigung?
Homsi: Tatsächlich sieht es so aus, als ob jeder gegen jeden ist. Im Fall des Irak haben Großbritannien und die USA die Opposition unterstützt und finanziert. In Syrien gab es das nicht. Während 40 Jahren gab es keine Opposition. Niemand konnte den Präsidenten herausfordern. Das ist der Hauptgrund für ihr Unvermögen. Es kommt hinzu, dass jetzt viele Kräfte am Werk sind, der syrische Geheimdienst, der iranische, der türkische und der aus Katar. Von den 500 Mitgliedern des Syrischen Nationalrates sind bestimmt 15 vom Geheimdienst.
STANDARD: Wann stürzt das Regime?
Homsi: Es ist trotz aller Propaganda schon gefallen. Es lebt nur noch vom Sauerstoff des Blutes. Die Menschen haben sich gegen diese Bande, die das Land ausraubt, entschieden. In ganz Syrien wird bei Demonstrationen die Todesstrafe für Präsident Assad gefordert. Ich erhalte täglich hundert Anrufe von Leuten, die Waffen wollen. Ich hoffe dennoch, dass es gelingt einen runden Tisch für einen nationalen Dialog einzurichten. Das wäre besser als die Flucht, zu der viele Aktivisten gezwungen sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.1.2012)