Was in Ungarn passiert, trifft Österreich voll. Wenn Ungarn in eine Staatspleite schlittert, wäre dies für die im Nachbarland stark engagierten österreichischen Banken eine Katastrophe - und damit für die ganze Republik. Auch andere österreichische Unternehmen sind durch die ungarische Steuerpolitik betroffen. Etwa durch die Sondersteuer zum Stopfen der Budgetlöcher, mit der der Umsatz von Energie, Telekom und Einzelhandel gestaffelt besteuert wird.
Schon jetzt sind die Folgen in Wien massiv zu spüren: So hat Österreich zwar für seine Staatspapiere am Dienstag genügend Käufer gefunden - trotz der Finanzprobleme Ungarns, wie die Chefin der Bundesfinanzierungsagentur, Martha Oberndorfer, betonte. Der Aufschlag war aber höher als zuletzt. Fitch erklärte am Dienstag, Österreichs AAA-Rating sei aktuell nicht gefährdet, wenngleich von der unsicheren Situation in Ungarn Risiken ausgingen.
Nach Einschätzung von Ökonomen könnte Ungarn im April zahlungsunfähig werden, wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union nicht einspringen. Das Land war bereits 2008 mit Krediten des IWF und der EU in Höhe von rund 20 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt worden.
Die Finanzkrise bietet aber auch eine Chance, das Vorgehen von Premier Viktor Orbán zu stoppen. Seit die nationalkonservative Fidesz im Mai 2010 einen furiosen Wahlsieg und die Zweidrittelmehrheit im Parlament errungen hat, krempelt Orbán das Land um: Per Gesetz wurde die Pressefreiheit im Land eingeschränkt; private Rentenfonds wurden verstaatlicht; eine neue Verfassung wurde in Kraft gesetzt - trotz des Protests auf ungarischen Straßen und in geharnischten Briefen aus Brüssel und Washington. US-Außenministerin Hillary Clinton schrieb in einem Brief an Orbán, dass sie in Sorge um die Demokratie in Ungarn sei. Trotz einer Warnung der EU-Kommission, dass die Unabhängigkeit der Notenbank durch das neue Gesetz nicht mehr gegeben sei und dies gegen EU-Recht verstoße, wurde die Zugriffsmöglichkeit für die Regierung im Parlament verabschiedet.
Unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse scheint Ungarn aber nachzugeben: Die letzte der drei großen Ratingagenturen hat Ungarn auf Ramschniveau herabgestuft, der Forint sackte auf ein historisches Tief, die Regierung musste am Montag einräumen, dass das Budgetdefizit um zehn Prozent höher ist, als bisher angenommen wurde. Dass Außenminister János Martonyi nun in einem Brief an die EU-Kommission ankündigt, Budapest sei bereit, jedes Gesetz zu modifizieren, ist eine gute Nachricht.
Die EU hat bisher keine Handhabe gegen Mitgliedsstaaten, in denen eine Regierung beginnt, die Demokratie auszuhöhlen. Das sind die Nachwirkungen der sogenannten Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung in Österreich. Auch gegen Italiens Silvio Berlusconi ging sie nicht vor.
Die EU ist aber nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Wertegemeinschaft. Es ist eine europäische Angelegenheit, wenn Grundrechte und gemeinsame Werte in einem Mitgliedsstaat bedroht sind. Deshalb sollte die Devise gelten: wirtschaftliche Hilfe nur, wenn sich Ungarn an die in der EU geltenden Gesetze und die demokratischen Spielregeln hält. Also eine Rücknahme der umstrittenen Gesetze als Bedingung für Finanzspritzen der Staatengemeinschaft. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.1.2012)