Das nach dem Sieg gegen Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion gefallene Kaliningrad, in dem rund eine Million Menschen lebt, könnte sich nach Ansicht von Beobachtern zum Problemfall für die EU entwickeln. Durch den erwarteten wirtschaftlichen Aufschwung Litauens und Polens nach dem EU-Beitritt wird sich deren ökonomischer Vorsprung auf Kaliningrad weiter vergrößern. Während die beiden künftigen EU-Mitglieder ihre Wirtschaft erfolgreich umgestaltet haben, ist die Wirtschaft von Kaliningrad immer noch fast ausschließlich von den russischen Militärstützpunkten abhängig, die sukzessive abgebaut werden. Korruption, Rechtsunsicherheit und Kriminalität schrecken ausländische Investoren ab. Schätzungen zufolge beträgt die Arbeitslosigkeit 40 Prozent.
Für die Kaliningrader Unterwelt wäre der EU-Beitritt der Nachbarstaaten Litauen und Polen dagegen ein Segen, da ihre illegalen Aktivitäten (Drogenschmuggel, Menschenhandel und Schlepperei) dann noch einträglicher würden. Somit ist die Region von der Größe Oberösterreichs für die EU sicherheitspolitisch ein großer Risikofaktor.
"Ich bin erstaunt, warum die EU so ruhig auf dieses Gebiet und die dortigen Probleme blickt. Wenn wir ihm weiter keine Aufmerksamkeit schenken, wird die Situation dort noch schlimmer werden", warnt der litauische Kaliningrad-Beauftragte Gediminas Kirkilas. Die EU müsse vor allem ökonomisch in Kaliningrad tätig werden. Litauen allein könne die dortigen Probleme nicht lösen. Als größter ausländischer Anleger in der russischen Exklave habe es bisher mit 25 Millionen Euro zehn Mal so viel investiert wie Deutschland.
"Wir sollten nicht so sehr von einer Isolierung Kaliningrads reden, sondern von dessen Integration in die EU", betont Staatspräsident Rolandas Paksas gegenüber der APA. Es gehe darum, die russische Exklave wirtschaftlich, kulturell und infrastrukturell sowie beim Umweltschutz einzubinden. Kirkilas wurde diesbezüglich deutlicher. Das bei der Friedenskonferenz von Potsdam im Jahr 1945 an die Sowjetunion erteilte 50-jährige Mandat über Kaliningrad sei bereits ausgelaufen. Nach den russischen Präsidentenwahlen im März 2004 sei daher eine "gute Zeit" für die EU, die Kaliningrad-Frage zu lösen. Vehement stellte Kirkilas aber territoriale Ansprüche Litauens auf das Gebiet in Abrede. Vielmehr gehe es darum, in Kaliningrad unter Zusammenarbeit von dessen Nachbarstaaten, der EU und Russland einen "freieren wirtschaftlichen und politischen Raum zu schaffen".
Mit Anfang Juli tritt das nach mühsamen Verhandlungen zwischen der EU, Russland und Litauen ausgehandelte neue Visa-Regime für Kaliningrad in Kraft. Litauen muss die für russische Bürger in der EU geltende Visapflicht einführen. Für die rund eine Million Transitreisen zwischen Russland und Kaliningrad wird die Ausgabe von Sichtvermerken aber bedeutend erleichtert. So sind kostenlose Ein-Jahres-Visa für die rund 50.000 öfters durch Litauen reisenden russischen Bürger vorgesehen.