Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wäre gut beraten, den Forderungen der acht K&K (Kärntner Knittelfelder) seines Vizes Herbert Haupt und nicht Fritz Neugebauer nachzugeben. Hier fallen Macht- mit Sachargumenten bestens zusammen: ein paar harmlose und gut begründbare und ein völlig berechtigtes "Eck"-Zugeständnis zur Harmonisierung an die K&K-Heckenschützen statt Besitzständen des GÖD-Chefs, die die Gesamtreform stoppten, bevor sie begonnen hat.

Es ist hier nicht Platz, die als bieder, ernsthaft und vernünftig getarnte Maßlosigkeit der GÖD-Ansprüche aufzudecken, die weit jenseits des Minimalkonsenses aller Parteien und Sozialpartner liegen. Der Kanzler braucht die Stimmen der acht FP-K&K- sowie die der vier JVP-Abgeordneten, die einer "verwässerten Regelung" nicht zustimmen: "Irgendwann ist Schluss" - Fuhrmanns Schwur in Kanzlers Ohr.

Die "Kanzerl"-Frage

Die Geringschätzung des Kanzlers durch die GÖD kommt im Freudschen Selbstverrat in GÖD-Schriften zum Ausdruck, wo der HBK als "Kanzerl" abgekanzelt wird. Ja, so wurden alle HBK bis Klima von ÖGB und GÖD behandelt: ein grantelnder Anruf, und schon war wieder Friedhofsruhe. Macht, die sich so behandeln lässt, gibt jeden Gestaltungsanspruch preis. Wer freilich glaubt, dass ein Feldherr, der ohne Wimpernzucken erfolgreich gegen Krone, ÖGB, AK und die EU-14 regiert hat, vor einem GÖD-Funktionär in die Knie gehen wird, könnte sich in Wolfgang Schüssel erneut getäuscht haben. Ob die Pensionsreform 2003 ein Erfolg oder ein Flop gewesen sein wird, entscheiden die nächsten Etappen, in denen erstmals eine Allianz aller Parteien und Interessenverbände (aber diesmal nicht aller Experten!) möglich wäre.

Höchste Zeit, dass die Fronten zur Haupt-Runde der Pensionsreform - über 50 Prozent der Bundesmittel für zehn Prozent Beamtenpensionen, 57-61 Prozent Beitragslücke- klar werden: GÖD gegen die gesamte Wirtschafts- und Arbeitswelt, gegen ÖVP und Parlamentsmehrheit.

Was kommt, was bleibt

War die Reform jetzt nötig? Ja, natürlich, bis 2010 muss sie längst wirken. War sie ausreichend? Als Probe zur Generalprobe ja, als Premiere nein. Was bleibt von der ersten Regierungsvorlage? Rund 40 Prozent der geplanten Einsparungen bis 2006; weitere 15 statt fünf Jahre Frühpensionen; fünf Jahre statt sofortiger Rücknahme erhöhter Steigerungsbeträge; weiter 25 Jahre Übergang zur Lebensdurchrechnung. Bis 2010 wird nur ca. ein Drittel des Barcelona-Ziels (+5 Jahre Antrittsalter) erreichbar sein. Ist sie durch diese Konzessionen völlig unwirksam geworden? Nein, sie bewirkt immer noch mehr als die Reformen 1997 und 2000 zusammen und stellt viele langfristige Weichen richtig.

Sind also zumindest alle Eckpfeiler des neuen Pensionsgebäudes tragfähig? Nein, zahlreiche Fundamente fehlen weiterhin: Harmonisierung, Pensionskonto, Wahlfreiheit, ausreichende Mindestpensionen, eigenständige Frauen- und Partnerpensionen, faire "Zukunftsvorsorge" für über 47- bis 52-Jährige, umfassende Kosten- und Kontenwahrheit, Reform explodierender Invaliditätsrenten, demografischer Korrekturfaktor, motivierende Lohnnebenkostensenkung für ältere ArbeitnehmerInnen etc.

Ist die Reform sozial ausgewogen und fair? Das werden erst Harmonisierung und Pensionskonto zeigen. Ist sie nachhaltig? Noch nicht: Ohne Nachjustierung wären rund drei Viertel der Nachhaltigkeitslücke noch zu schließen. Wann ist die nächste Reform fällig? Entweder sofort oder wohl spätestens 2010.

Eckpunkt schwankt

Als Antwort auf Gräuelmärchen hat die Regierung die Reißleine gezogen und den Zehn-Prozent-"Deckel" beschlossen. Das war psychologisch verständlich, politisch klug und sachlich problemlos, solange dieser Fallschirm die tödlich bedrohliche Kurzzeit freien Falls unüberschaubarer, teils unberechtigter Härten bis zur sicheren Landung auf dem Terrain soliden Pensionskontos überbrücken ließ. Sicherheitsgurte aber am festen Boden beitragswahrer Kalkulation und generöser Sozialleistungen mitzuschleppen war unnötig, ja verdächtig, signalisierte Mangel an Augenmaß, Bodenhaftung, Ehrlichkeit. Ein Versprechen bis 2004 musste als wertlos, eines faktisch höherer Pensionen bis 2034 als vor dem Jahr 2000 (!) als haltlos, unglaubwürdig und gegen Jüngere gerichtet gesehen werden. Doch bis wann dann gilt die schmerzstillende "Deckel"-Droge vor der heilenden Operation Pensionskonto?

Zuletzt hat ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer im Format von quälenden Zweifeln über ihre Geltungsdauer erlöst: Sie soll "nicht ewig", nur für ungewisse Zeit gelten. "Die Deckelung soll für jeden grundsätzlich im alten System gelten. Zumindest solange, bis ein individuelles Pensionskonto eingerichtet ist ... Und jüngere Jahrgänge können sich ja auf einen Systemwechsel einstellen."

Weder solle das alte System schnellstmöglich harmonisiert und der Deckel beseitigt werden, noch wolle er eine Garantie abgeben, "dass alle, die heute über 35sind, nicht mehr als zehn Prozent an Pen-sion verlieren." Also: Fix is' nix, alles offen zwischen 2004 und 2034, ausgerechnet beim "Eckpunkt" des Deckels!

Das ist offenherzig redlich, aber allzu ungewiss, wo man darstellbare Sicherheit erwartete: Warum nicht einen Zehn-Prozent-Deckel sehr wohl für ein, zwei Legislaturperioden - etwa bis 2007 oder 2010 - garantieren, d. h. jährliche Einbußen unter 2,5 bzw. 1,5 Prozent? Und gleichzeitig eine großzügige, etwa 15- bis 25-jährige Übergangszeit definieren, über die vorerst weiter befristet garantierte Übergangszuzahlungen (von 30 bis 50 Prozent) über dem Konto kontinuierlich und sanft abgeschmolzen werden?

Das müsste selbst die Opposition mittragen können - nach ihren Programmen. Und jede(r) wüsste dann - und zwar endgültig, unwiderruflich, für wahrhaft ewig -, dass etwa ab 2025 volle Beitragswahrheit und -gerechtigkeit herrschen wird, weiterhin aufgebessert um rund 50 Prozent Zusatzleistungen aus Bundesmitteln für Krankheit, Arbeitslosigkeit, Armut, Invalidität, Kindererziehung, Waisen, Militär-/Zivildienst etc.

Schmerzbetäubung

Bruchlinien zwischen Generationen (+/-35) oder Berufsgruppen würden so - und nur so - völlig vermieden. Solche inhaltlichen "Eck"-, zeitlichen Fixpunkte des Übergangs zu Harmonisierung und Konto könnten den Menschen endlich jene nötige Sicherheit und Vertrauen geben, die ihnen durch unhaltbare, daher unglaubwürdige und wiederholt gebrochene Versprechen verloren gingen. Warum also nicht mittelfristige Schmerzbetäubung bis 2007/2010 statt bedrohlichem Schock 2004 oder Endlosleid und Agonie bis 2034? Bitte in diesem Sinne nachpräzisieren, weil "Eckpunkte" Halt geben müssen, nicht weitere Ungewissheit auf Jahre und Jahrzehnte! (DER STANDARD, Printausgabe, 10.6.2003)