New York/Frankfurt - Die Mega-Fusion von Deutscher Börse und der New Yorker NYSE Euronext steht vor dem Aus. EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia habe den Börsenbetreibern signalisiert, den 9 Mrd. Dollar (rund 7 Mrd. Euro) schweren Zusammenschluss blockieren zu wollen, sagte eine mit der Sache vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters. Deutsche-Börse-Chef Reto Francioni und NYSE-Chef Duncan Niederauer wollen nun versuchen, dass Ruder mit einer Lobby-Offensive in letzter Minute herumzureißen.

Geringe Chancen

Insider und Experten sehen allerdings nur noch geringe Chancen, dass die vor fast einem Jahr angekündigte Fusion zum weltgrößten Börsenbetreiber gelingen wird. "Die Wahrscheinlichkeit, dass der Deal noch durchgeht, sinken damit auf 20 Prozent", erklärte UBS-Analyst Arnaud Giblat am Mittwoch. Auch sein Kollege Martin Peter von der LBBW sieht für die Unternehmen schwarz. "Die Börse hat Brüssel unterschätzt. Die Chancen eines erfolgreichen Deals sinken von Tag zu Tag."

Die zuständigen Beamten von Almunia, das sogenannte Case-Team, hatte bereits im Dezember erhebliche Bedenken gegen den Zusammenschluss angemeldet und will Insidern zufolge nun zusammen mit dem Wettbewerbskommissar für ein Veto gegen die Fusion plädieren. Theoretisch könnte das Kollegium der 27 EU-Kommissare Almunia überstimmen, dies wäre allerdings ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. "Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die Mehrheit der Kommissare Almunia überstimmt", sagte Analyst Peter. Das Kollegium will Insidern zufolge Anfang Februar entscheiden.

Den EU-Wettbewerbshütern ist besonders die Marktmacht des fusionierten Unternehmens im Handel mit Optionen und anderen Derivate-Papieren ein Dorn im Auge. Die Börsen-Tochter Eurex und die zur NYSE gehörende Londoner Liffe kämen im Derivate-Handel an europäischen Börsen zusammen auf einen Marktanteil von über 90 Prozent. Den außerbörslichen Handel (OTC), der einen Großteil des Marktes ausmacht, blendete die Behörde dagegen aus. Diese - aus Sicht der Börse falsche - Betrachtungsweise wollen die Konzerne nun in Gesprächen mit den übrigen Kommissaren und der Politik thematisieren, wie ein Insider Reuter sagte.

Zugeständnisse

Beide Börsenbetreiber hatten in Brüssel eine Reihe von Zugeständnissen gemacht, um die Bedenken zu zerstreuen. Sie boten an, überlappende Derivate-Bereiche in Europa sowie das Liffe-Derivategeschäft auf europäische Einzelaktien zu verkaufen. Zudem sollen Konkurrenten ihre Derivate-Geschäfte über die Börsen-Tochter Eurex Clearing abwickeln dürfen. Den Kunden versprachen die Börsen, die Preise für Derivate-Kontrakte drei Jahre lang konstant zu halten. Kritiker werfen der Börse vor, in Brüssel nicht genügen angeboten zu haben. "Die Zugeständnisse waren armselig", sagte der Handelschef einer großen europäischen Investmentbank in London.

Dass die Börsen in Brüssel noch weitere Zugeständnisse machen, ist Insidern zufolge technisch nicht möglich. Börse und NYSE haben in ihren Fusionsvereinbarungen zudem festgelegt, das Geschäft bis Ende März abschließen zu müssen. "Der Deutschen Börse läuft die Zeit davon", sagte ein Händler. Für Börsen-Chef Francioni ist der Verhandlungsspielraum ohnehin gering: Denn wenn er zu große Zugeständnisse anbietet, droht ein Veto des hessischen Wirtschaftsministeriums, das dem Geschäft als Börsenaufsicht ebenfalls zustimmen muss. Der zuständige Minister Dieter Posch hat mehrfach angekündigt, die Fusion zu blockieren, wenn eine Fortentwicklung des Börsenbetriebs nicht gewährleistet ist oder der Finanzplatz Frankfurt geschwächt wird.

Francioni und Niederauer wollen nun unter anderem in der Politik um Unterstützung werben, die sich in Brüssel bisher kaum für den Zusammenschluss eingesetzt hat. In den nächsten Wochen seien Treffen mit Regierungsvertretern aus verschiedenen europäischer Länder geplant, sagte ein Insider. Zudem wollten Francioni und Niederauer am Weltwirtschaftsforum in Davos Ende Januar teilnehmen, um dort bei einflussreichen Wirtschaftsführern für ihre Sache zu werben. Parallel bearbeiten die Lobbyisten der Konzerne die Kommissare in Brüssel. Die meisten von ihnen haben bisher keinerlei Präferenz erkennen lassen. Lediglich EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier zeigte öffentlich Sympathien für den Zusammenschluss.

"Beide Unternehmen werden die verbliebene Zeit nutzen, um in Gesprächen die Vorteile der Fusion deutlich zu machen", sagte ein Sprecher der Deutschen Börse. Beide Unternehmen seien nach wie vor überzeugt, dass die Fusion positiv für die Konzerne und die Stabilität der Finanzmärkte sei. Die EU will spätestens bis 9. Februar entscheiden. Davor könne man nichts kommentieren, bestätigen oder dementieren, erklärte die Kommission.

Die Deutsche-Börse-Aktie legte am Mittwoch trotz der schlechten Nachrichten aus Brüssel rund ein Prozent zu. Die meisten Analysten haben den Zusammenschluss in ihre Berechnungen bisher allerdings noch nicht einkalkuliert. (APA)