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Frauen können an der Mehrzahl der geburtshilflichen Abteilungen selbst entscheiden, ob sie etwas essen wollen.
Eine Geburt braucht Zeit. In Österreich dauert rund die Hälfte aller Geburten bis zu sechs Stunden, ein Drittel der Frauen liegt sieben bis zwölf Stunden in den Wehen und knapp jede zehnte Frau 13 bis 24 Stunden. Die Wehen ziehen sich also über Stunden hin - kräfteraubende Stunden. Ob werdende Mütter während dieser Zeit essen und trinken sollen oder dürfen, wird in den verschiedenen Kulturen höchst unterschiedlich gehandhabt. Vielerorts werden Frauen ermuntert zu essen, um den Anforderungen des Geburtsvorgangs gerecht zu werden, während in anderen Ländern reduzierte Kost auf dem Plan steht.
Die Empfehlung hin zur Nahrungseinschränkung geht auf die Arbeiten des Arztes Curtis L. Mendelson zurück: Er beobachtete in den 1940er-Jahren, dass bei Kaiserschnittentbindungen unter Vollnarkose Teile des Mageninhalts in die Lungen gelangen können. Dieser als "Aspiration" bezeichnete lebensbedrohliche Vorgang führte schließlich vor allem in den westlichen Industriestaaten zu einem Essverbot ab Beginn der Wehen. So war es in den USA bis vor kurzem überhaupt oft noch gang und gäbe, dass Gebärende über Stunden hinweg nur einige Schluck Wasser oder Eiswürfel bekamen. Für viele Frauen eine unangenehme Restriktion in einem ohnehin nicht gerade vergnüglichen Zustand.
Ein Wissenschafterteam verglich daher im Jahr 2010 fünf Studien, die die Vor- und Nachteile von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme während der Geburt analysierten. Das Ergebnis: Die Studien zeigten weder Vor- noch Nachteile für Frauen mit geringem Komplikationsrisiko, wenn Getränke und Essen beschränkt wurden. Die Autoren kamen daher zu der Schlussfolgerung, Frauen sollten selbst bestimmen, ob und was sie während der Wehen zu sich nehmen.
Keine Empfehlungen in Österreich
Seitens der Österreichischen Gesellschaft Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) gibt es in puncto Essen und Trinken keine Empfehlung. "Die tägliche Praxis ist, dass an der Mehrzahl der geburtshilflichen Abteilungen das alte Verbot gelockert bzw. aufgehoben wurde", sagt Christian Marth, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Innsbruck und Präsident der OEGGG. "Auch bei uns an der Abteilung dürfen gebärende Frauen essen und trinken. Meist ist allerdings der Appetit deutlich eingeschränkt", so Marth.
Angesichts der medizinischen Fortschritte im Bereich der Anästhesie wirkt die in den 1940er-Jahren eingeführte Empfehlung zum leeren Magen überholt. "Da heute Kaiserschnitte fast ausschließlich unter Regionalanästhesie stattfinden, ist die Gefahr einer Aspiration minimal. Letztlich bleibt die Allgemeinnarkose den seltenen Notfallkaiserschnitten vorbehalten", erklärt Marth.
Martin Langer, Leitender Oberarzt an der Universitäts-Frauenklinik in Wien, rät Frauen, während der Wehen dennoch die Nahrungsaufnahme einzuschränken. Allerdings nicht aus dem Grund einer wahrscheinlichen Aspiration, sondern weil es leichter zum Erbrechen komme. Von einer Einschränkung der Flüssigkeitsmenge hält auch er nichts und empfiehlt ausreichend Flüssigkeit vor der Geburt und auch schluckweise während der Geburt. Traubenzucker sei ebenso gut verträglich und geeignet. Langer verweist auf den Spruch "Abwarten und Tee trinken": Bei Wehenbeginn sollten Frauen nicht sofort in die Klinik kommen, sondern besser zu Hause abwarten und Tee trinken, um Ruhe einkehren zu lassen, sich auf die Wehen einstellen zu können und Flüssigkeit aufzunehmen. Bei regelmäßigen Wehen alle zehn Minuten sollten die Frauen dann in die Klinik fahren, rät der Gynäkologe. (derStandard.at, 11.1.2012)