Linz - Mit einer derart großen zweiten Welle hatte Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) nicht gerechnet. 66 ehemalige Heimkinder meldeten sich von Mai bis Dezember 2011 bei der Opferschutzstelle des Landes und berichteten von Übergriffen ihrer damaligen Erzieher. Im Jahr zuvor, als nach Bekanntwerden der brutalen Erziehungsmethoden in oberösterreichischen Heimen die Opferschutzkommission eingerichtet wurde, hatten sich 88 frühere Zöglinge gemeldet. Die Fälle liegen meist Jahrzehnte zurück, weshalb Pühringer glaubt, dass es bei den Betroffenen einer gewissen Reaktionszeit bedurfte, bis sie sich an die Opferschutzstelle wandten.

13.300 Kinder waren zwischen 1945 und 1995 in den drei oberösterreichischen Heimen untergebracht. 154 von ihnen haben in den vergangenen zwei Jahren bei der Opferschutzstelle Hilfe gesucht. Sie berichteten von sexueller, psychischer und physischer Gewalt in ihrem Heimalltag. 89 Betroffenen hat das Land inzwischen eine Entschädigung zuerkannt. Am Montag dieser Woche beschloss die Regierung die Ausbezahlung von etwas mehr als einer Millionen Euro, teilten Pühringer und Landesrat Hermann Kepplinger (SPÖ) in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit.

Finanzielle Geste

Mehr als 25.000 Euro Entschädigung erhält jedoch keines der Opfer. Eine "finanzielle Geste", für die die früheren Heimkinder jedoch dankbar seien, versicherte der Landeshauptmann. Warum nicht alle bei der Opferschutzstelle angezeigten Fälle eine Entschädigung erhalten? Einige Opfer hätten dies nicht gewollt, andere wiederum seien in ihrer Kindheit und Jugend in einer kirchlichen Einrichtung gepeinigt worden, führte er weiter aus. Diese Fälle habe das Land an die Klasnic-Kommission, die von der katholischen Kirche zur Aufarbeitung der Misshandlungsfälle eingesetzt wurde, weitergeleitet.

Die Arbeit der oberösterreichischen Opferschutzkommission sei aber damit laut Pühringer noch nicht beendet. Solange sich noch Betroffene melden, werde sie nicht aufgelöst. Zudem wird die Geschichte des oberösterreichischen Jugendfürsorgewesens seit dem Zweiten Weltkrieg wissenschaftlich aufbereitet. Das Oberösterreichische Landesarchiv arbeitet mit Historikern der Uni Linz und Graz zusammen. Geplant sind auch Interviews mit Heimkindern. (ker, DER STANDARD Printausgabe, 12.1.2012)