
Eine gezeichnete Protagonistin steht in "The Green Wave" für die Erfahrung vieler: Nach Verlassen des Gefängnisses findet sich Azadeh in einem noch "größeren Gefängnis namens Iran" wieder.
Wien - Im Frühsommer 2009, im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen, wird die Farbe Grün im Iran zum Symbol jener, die auf eine demokratische Ablöse des Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nejad hoffen und beispielsweise den Kandidaten Mir-Hossein Mussavi unterstützen. Am Ende des Wahltags, dem 12. Juni, sieht sich diese grüne Bewegung jedoch damit konfrontiert, dass ein Sieg Ahmadi-Nejads verkündet wird. In den darauffolgenden Tagen und Wochen, während viele öffentlich "Wo ist meine Stimme?" fragen, beginnen brutale Übergriffe gegen diese Opposition. Es gibt Tote und mehrere Tausend Verhaftungen.
Den 1972 im Iran geborenen und seit 1985 in Deutschland lebenden Filmemacher Ali Samadi Ahadi kennt man auch hierzulande wegen seiner erfolgreichen Culture-Clash-Komödie Salami Aleikum. Just am 12. Juni 2009 hatte dieser Film in Deutschland Premiere. Und auch der Regisseur wurde vom Wahlausgang völlig überrumpelt. Wochen später, so heißt es im Presseheft, habe er dann beschlossen, über die "iranischen Ereignisse im Sommer 2009" einen Film zu machen.
Blogs und Handys
Für diesen Dokumentarfilm über die grüne Bewegung greift Ahadi zum einen auf Texte und Bildmaterial zurück, die in Blogs publiziert und von Beteiligten - etwa mit Handys - aufgezeichnet wurden. Eine zweite Ebene von The Green Wave bilden Interviews, die im Nachhinein entstanden. Zu Wort kommen neben prominenten Figuren wie der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi oder dem ehemaligen UN-Ankläger Payam Akhavan auch junge Iranerinnen und Iraner, die aufgrund ihres oppositionellen Engagements aus ihrer Heimat flüchten mussten.
Die dritte Ebene besteht aus Reinszenierungen von Blog-Einträgen: In Form eines bewegten Comics begleitet man den Studenten Kaveh, der im Mai zunächst eher ungeplant zum Auftritt von Mussavi in ein Teheraner Stadion kommt und sich anstecken lässt von der Hoffnung auf einen demokratischen Wandel. Zweite Protagonistin ist die angehende Ärztin Azadeh, die sich als Wahlhelferin engagiert. Für beide wird dies lebensgefährliche Folgen haben.
Das Verfahren, das in jüngster Zeit vermehrt für Dokumentarfilme genutzt wird, wirkt angemessen, zumal die Bildebene beispielsweise während der eindringlichen Schilderungen von Haftbedingungen und Folter ins Abstrakte tendiert. Die stellenweise als Stimmungsverstärker eingesetzte Off-Musik ist da schon eher irritierend. Oder die Montage der Interviews, die manchmal fast satzweise von einem zum nächsten Gesprächspartner wechseln.
Die größte Wirkung entfalten ohnehin die pixeligen anonymen Amateuraufnahmen: Allein die Blickwinkel - erst noch mitten im jubelnden Taumel in der Menge, später merkbar heimlich, von einem Fenster aus - erzählen schon eine Geschichte. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2012)