Joshua Sobol inszeniert die Erstaufführung eines verblüffend prophetischen Stückes in Wien: Mercedes Echerer und Erik Jan Rippmann agieren als Pärchen, das in einer Hightech-Wohnung seine Identität verliert.  Sobol, 72, schreibt seit 1972 Dramen und leitete in den 1980ern ein Theater in Haifa. Seinen größten Erfolg feierte er mit "Ghetto" 1984.

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Im Gespräch mit Ronald Pohl gibt er sich aber als Optimist zu erkennen.

Standard: Der Titel Ihres Stückes "Verklärte Nacht" bezeichnet eigentlich ein spätromantisches Stück für Streicherorchester von Arnold Schönberg. Wie sind Sie auf diesen Titel gekommen?

Sobol: Mein Stück ist eine Groteske. Es handelt sich um die gemeinsame Nacht einer Frau und eines Mannes. In dieser Nacht passiert etwas mit ihnen, denn nachdem sie miteinander Sex gehabt haben, erkennen sie das jeweilige Gegenüber nicht wieder. Beide reklamieren für sich, dass das ihre Wohnung sei, in die sich der andere Zutritt verschafft habe. Und beide haben irgendwie recht. Komischerweise lässt sich Schönbergs Titel somit sarkastisch erneuern.

Standard: "Verklärte Nacht" schildert das Verschwinden des Paares im Cyberspace. Der Text stammt aus dem Jahr 1997. Fühlen Sie sich im Nachhinein als Prophet bestätigt?

Sobol: Damals waren die Computer bereits in unserem Leben präsent, und ich hatte die Vorstellung, dass wir eines Tages ihre Sklaven werden würden. Die Idee liegt darin, dass die Computer unsere Welt verfremden und sie nicht eben freundlicher gestalten. Die virtuelle Realität verdrängt die Wirklichkeit: Die Welt verliert alles Reale.

Standard: Die Sphären heben einander auf?

Sobol: Man beginnt sich in der Tat Fragen zu stellen wie: Bist du mein Freund - oder nur mein Facebook-Freund? Man wacht eines Tages auf und hat über Nacht 2000 Facebook-Freunde gewonnen. Ist diesem Freundschaftsbegriff aber wirklich zu trauen? Als ich in Paris in den 1970er-Jahren Philosophie studierte, habe ich auch einen Kurs in Informatik belegt. Ich studierte "Konzeptionsanalyse", ich bin mit der Computerwelt also ganz gut vertraut. Auch wenn die Rechner damals noch wie Kühlschränke aussahen. Mit dem Anwachsen der sozialen Netzwerke stieg freilich meine Skepsis.

Standard: Das Standardargument für das Worldwide Web lautet doch: Die Barrieren der Verständigung werden niedergerissen. Selbst der Arabische Frühling wäre ohne Austausch von Netzinformationen unmöglich gewesen.

Sobol: Sicher bietet das Web auch die Möglichkeit, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Was den Anteil der Netzkultur am Arabischen Frühling betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Ich kenne Kairo von Besuchen, die knapp vor Einsetzen der Demokratiebewegung stattfanden. Mir imponieren diese Millionen Menschen, die dort Tag und Nacht auf der Straße sind. In einer solchen Gesellschaft pflanzen sich politische Wellen sehr leicht fort: Mit einem Mal kannst du Millionen auf einem Platz versammeln - auf Zuruf. Und was jetzt in Syrien passiert, hat nichts mit Facebook zu tun. Die Leute haben einfach diesen Diktator satt.

Standard: Überwiegen die Hoffnungen oder die Gefahren?

Sobol: Die ägyptische Revolution wurde von säkularen Kräften losgetreten. Jetzt treten die Islamisten und Salafisten auf den Plan. In Kairo war ich immer vom Liberalismus beeindruckt: Westlich angezogene Frauen saßen bis spät in der Nacht in den Straßencafés und rauchten. Heute ist die Zukunft unklarer denn je.

Standard: Sie planen wiederum ein polydramatisches Großtheaterstück, in der Art Ihrer "Alma". Was lässt sich thematisch dazu sagen?

Sobol: Es wird wohl um die Wurzeln des Antisemitismus im 19. Jahrhundert gehen. Ich interessiere mich brennend für die Dreyfuß-Affäre, durch die Theodor Herzl den Anstoß für seine zionistische Idee empfing. Sowohl ich als auch Paulus Manker sind der festen Meinung, dass der Judenhass neue Blüten treibt. Heute ist der Antizionismus modisch geworden. Nun ist Israel ein Staat wie jeder andere und muss sich selbstverständlich kritisieren lassen. Aber wenn man die Existenz Israels infrage stellt, dann verhält sich die Sache anders. Es stellt ja auch niemand die Existenz Chinas in Frage, bloß weil man die Tibet-Politik der Chinesen ablehnt.

Standard: Findet die Anerkennung der Palästinenser durch die Uno Ihre Zustimmung?

Sobol: Ich begrüße das: Sie sollen anerkannt werden, wenn sie die Grenzen von 1967 einfordern. Das muss im Interesse Israels liegen, da ein solcher Schritt umgekehrt die Anerkennung seiner Grenzen beinhaltet. Ich habe eine Petition in der Sache aufgesetzt, die Zustimmung gefunden hat. Was passiert jetzt in der arabischen Welt? Das Ende der Diktatoren führt dazu, dass die arabischen Länder vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Darunter leidet ihr Interesse für die Palästinenser - und die Palästinenser sind die Ersten, die das verstehen.

Die Israelis haben ihre rechte Regierung einigermaßen satt. Sogar die Auseinandersetzung mit den Orthodoxen ist gut, weil jetzt die Liberalen aus ihrer phlegmatischen Ruhe gerissen werden. Die Orthodoxen zählen alles in allem 500.000 Personen - das macht sieben bis acht Prozent unserer Bevölkerung aus. Das ist keine Mehrheit. Wenn sie in geschlossenen Vierteln leben wollen, okay. Aber sie sollen die Säkularen nicht dazu zwingen, nach ihren Geboten zu leben.

Standard: Sie sind optimistisch?

Sobol: Es gibt neue Initiativen von Palästinensern und Israelis, miteinander auszukommen: in Jerusalem. Die dort Beteiligten wollen einen Modus des Zusammenlebens entwickeln, ohne Inanspruchnahme der Politik, auf einer tagtäglichen Ebene. Und das Beispiel macht bereits Schule.   (DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2012)