Wien - Aktuelle Forschungsergebnisse von Wissenschaftern der MedUni Wien könnten einen wesentlichen Einfluss auf zukünftige Schmerztherapien haben: Die Forscher der Abteilung für Neurophysiologie am Zentrum für Hirnforschung haben entdeckt, dass eine kurze, hoch dosierte Behandlung mit Opioiden eine Form des sogenannten Schmerzgedächtnisses bei bestimmten chronischen Schmerzuständen "löschen" kann. Über ihre Ergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe der US-Wissenschaftszeitschrift "Science" (13. Jänner).

Das Team um Jürgen Sandkühler und Ruth Drdla-Schutting beschäftigt sich seit Jahren mit der Schmerzforschung. Im Sommer 2009 konnten sie zeigen, wie ein schnelles Absetzen der morphinähnlichen Substanzen (Morphinentzug) die Schmerzempfindung verstärken kann. Jetzt aber haben sie sozusagen den Spieß umgedreht.

Sandkühler: "Das Problem liegt ja darin, dass bei Patienten mit chronischen Schmerzen ein 'Schmerz-Verstärker' in den Nervenbahnen eingeschaltet wird. Die Verbindungsstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen, die Schmerzinformation weiterleiten, verändern sich dauerhaft, indem sie die Reizübertragung noch verstärken. Es findet eine synaptische Langzeit-Potenzierung (LTP) statt und es bildet sich so ein Schmerzgedächtnis aus. Bisher hat man chronische Schmerzzustände langfristig mit niedrigen bis mittleren Dosen von Opioiden behandelt. Wenn man die Medikamente absetzt, dann sind die Beschwerden aber wieder da."

Morphin und die davon abgeleiteten Opioide sind die wirksamsten Analgetika. Sie binden an die My-Opiatrezeptoren (MOR). Das führt zu einer verringerten Freisetzung des Nervenbotenstoffs Glutamat und dämpft so die Erregung der Nervenzellen im Rückenmark. Umgekehrt: Ein starker Schmerzreiz führt zur Glutamat-Ausschüttung, das wiederum führt zum massiven Einstrom von Kalzium-Ionen in die Nervenzellen und zur Modifikation von bestimmten Glutamat-Rezeptoren (zur Phosphorylierung von AMPA-Rezeptoren).

Patiententests in Vorbereitung

Die Wiener Wissenschafter machten nun die überraschende Entdeckung, dass man durch eine kurze, aber hoch dosierte Opioid-Gabe die Langzeit-Potenzierung bei den Schmerz-Nervenfasern wieder aufheben kann. Nach den Arbeiten im Labor soll das neuartige Konzept jetzt in Kooperation mit Burkhard Gustorff (Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Wiener Wilhelminenspital, ehemals an der MedUni Wien) an Patienten mit chronischen Schmerzen erprobt werden. Sandkühler: "Dabei erhalten die Patienten eine hoch dosierte Behandlung mit Opioiden über einen Zeitraum von einer Stunde, gegebenenfalls wird man das im Abstand einer weiteren Stunde wiederholen müssen. Die Dosis ist so hoch, dass es schon zu einer vorübergehenden Verlangsamung der Atmung, aber noch zu keinen echten Problemen kommt. Diese Behandlung kann daher jedoch nur ein erfahrener Spezialist, ein Anästhesist, durchführen."

Die Depression des Atemzentrums im Gehirn ist die klassische Nebenwirkung einer massiven Opiat-Überdosierung und auch eine der Ursachen von Todesfällen beim illegalen Konsum von solchen Substanzen, allerdings zumeist in Kombination mit Alkohol und/oder Beruhigungsmitteln etc. Doch bei den medizinisch verwendeten Opioiden handelt es sich um gut steuerbare und auch gut verträgliche Medikamente. (APA, red)