Zum Auftakt des Kulturhauptstadtjahres 2012 wird die Altstadt von Maribor von einer Lichtermauer umgeben sein.

Foto: Slowenisches Tourismusbüro

Die meisten, heimatgebenden wie stresserfüllten Aspekte einer Stadt erschließen sich nur den Bewohnern. Besucher auf der Fahrt durch die Plattenbausiedlungen am Rand der 117.000-Einwohner-Agglomeration Maribor, vorbei an den leerstehenden Fabriksbauten, aber auch den großen, neuen Einkaufzentren und teilrenovierten Gassen in der Innenstadt, können diese vielleicht erahnen.

Sie jedoch werden in diesen Wochen auf ein anderes Maribor eingestimmt: jenes der glanzvollen Kultur. Maribor 2012, neben dem portugiesischen Guimarães in diesem Jahr Kulturhauptstadt Europas, startet am zweiten Jännerwochenende. In der Nacht auf Samstag, den 14. Jänner, wird die Altstadt von Maribor von einer Lichtermauer umgeben sein, am Abend darauf, am 15. Jänner, wird im slowenischen Nationaltheater Janez Burgers Neuinszenierung von Marij Kogojs Oper Èrne maske (Schwarze Masken) Premiere haben. Ab dann sind übers ganze Jahr hochkarätige Veranstaltungen angesagt, von Tomaz Pandurs Inszenierung von Leo Tolstois Krieg und Frieden im Februar zum Internationalen Tag des Chorgesangs im Dezember.

Mehr als 1.000 Kulturtermine sollen Besucher anlocken, in die zweitgrößte Stadt Sloweniens ebenso wie in weitere fünf kleinere Orte im 60-Kilometer-Umkreis: Slovenj Gradec, Velenje, Novo Mesto, Murska Sobota und Ptuj - die Maribor-2012-Partnergemeinden. In Ptuj zum Beispiel, der ältesten Stadt des Landes mit einer bis in die Römerzeit reichenden Geschichte und einem erhaltenen, wunderschön renovierten Stadtkern, wird im Februar das Festival Kurentovanje starten: der historische Karneval in der Gemeinde und ihrer dörflichen Umgebung.

Der "Kurent", eine ursprünglich heidnische Maske, ist eine aus zotteligen Tierfellen genähte, buntdekorierte Verkleidung. Beim Umzug nebst Winteraustreibung im Ort tritt er immer in Gruppen auf - und immer ist auch der "hudiè", der Teufel, mit dabei. Für die Honoratioren Ptujs ist die Teilnahme Ehrensache, betont Vizebürgermeisterin Helene Neudauer. Im Jahr der Kulturhauptstadt werden die slowenischen Perchten in internationaler Begleitung durch die engen Gassen streifen: "Wir haben Brauchtumsgruppen aus Afrika und Asien eingeladen", schildert sie.

Derlei Weltoffenheit werde für "stajerska", die slowenische Steiermark, einen Wendepunkt darstellen, hofft Maria Mise, Marketingexpertin von Maribor 2012. "Das Kulturhauptstadtjahr ist eine große Chance. Wenn wir es schaffen, auch danach im Gespräch zu bleiben." Es gehe darum, die Stärken der Region herauszustreichen: die ausgeprägte Nähe von Stadt und Land und die dadurch bedingte Vielfalt Maribors, der in die Moderne gestoßenen realsozialistischen Industriestadt und ihrer Umgebung mit ihren Hügeln und Weingärten, ihren Thermen und Skipisten.

Tatsächlich hat, wer inmitten Maribors vor dem Schloss steht und das aus der Titozeit stammende Mahnmal an den Zweiten Weltkrieg und die Befreiung von der Nazibesatzung betrachtet - eine von Stahlklammern umfasste große Weltkugel aus Bronze, wegen ihrer Glatzenähnlichkeit im Volksmund "Kojak" genannt, nach der gleichnamigen US-Krimiserie -, gleichzeitig auch einen Blick auf die schroffen Weinhügel am Ende der Straßenfluchten, die die Stadt umgeben. Setzt er oder sie sich daraufhin ins Taxi, braucht es in die Rebengärten nur knappe zehn Minuten. Und nicht viel länger bis zur Seilbahnstation am Fuße des Berges Pohorje, wo man winters Skifahren und sommers Wandern kann. Dass sich gleich bei der Talstation das Fünfsternethermenhotel Habakuk befindet, erhöht den touristischen Reiz.

Die Bewohner Maribors indes ziehen aus der Vielfalt nur wenige Vorteile. Der nahtlose Übergang von Industriegebiet in Ländlichkeit hat für sie meist keine relevante Lebensqualitätssteigerung zufolge. Zumindest seit zwei Jahrzehnten nicht mehr, seit dem Zerfall Jugoslawiens, denn mit dem Ende des Realsozialismus ging das Ende der großen Fabriken einher: In Maribor, einst ein Zentrum der Schwerindustrie mit bis zu 60.000 Beschäftigten, verloren viele ihre Jobs. Die Folgen - Verarmung und Perspektivenlosigkeit - konnte auch der Beitritt Sloweniens zur EU 2004 nicht wirklich wettmachen. Im Gegenteil: Aufgrund der Krise der vergangenen Jahre ist die Arbeitslosigkeit in Maribor wieder auf zwanzig Prozent gestiegen.

Viele Mariborer sind daher gezwungen, mit sehr wenig Geld über die Runden zu kommen, was paradoxerweise dazu geführt hat, dass gerade hier, inmitten fruchtbaren Bauernlandes die Selbstversorgung mit frischen Produkten der Region so gering ist wie nirgendwo sonst in der EU. 80 Prozent des konsumierten Obstes, Gemüses, der Fleisch- und Milchprodukte kommen von weit her. Und eine ganze Reihe Menschen kann sich auch diese Waren nicht leisten.

Daher stehe im Kulturhauptstadtjahr nicht nur Hoch-, sondern auch Alltagskultur auf dem Programm, erläutert Marketingfrau Mise. Im Rahmen des Schwerpunkts "Urbane Furchen" werde in der Stadt ein Selbsthilfezentrum aufgebaut, wo frische Bauernprodukte aus der Region ohne Zwischenhandelsmarge - und somit leistbarer - verkauft werden sollen. In einem zweiten Schritt wolle man den Startschuss für die Errichtung einer Schrebergartensiedlung geben, die in Selbstverwaltung bewirtschaftet werden soll. Und auch ein Beratungszentrum für Menschen in sozialen Schwierigkeiten sei geplant.

Die "Urbanen Furchen" werden auch nach 2012 Spuren hinterlassen, hofft Mise. Und verweist, diesbezüglich optimistisch, auf den ärmeren Süden Maribors, die Industriezone jenseits der Drau. Dort unterhält ein Kollektiv junger Leute in der ehemaligen Brotfabrik des Militärs, der "pekarna", seit einer Besetzungsaktion 1994 ein autonomes Zentrum. Beisl, Büros, Club, Konzertsaal und Übungsräume. Mit dem Wunsch, kommenden Jahr auch dort mehr neue Besucher zu empfangen.  (Irene Brickner / DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2012)