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Asylwerber im Flüchtlingsgefängnis Kiskunhalas: Laut dem Helsinki-Komitee werden Flüchtlinge in magyarischen Anhaltezentren von Polizisten provoziert und verprügelt sowie mit Pillen ruhig gehalten.

Foto: AP/Szandelszky

Wien - Die rechtlichen Hürden gegen die EU-weiten Rückschiebungen von Asylwerbern laut Dublin-II-Verordnung in jenes Land, in dem die Flüchtlinge erstmals Unionsboden betreten haben, werden höher. Donnerstagfrüh erhielt der Anwalt Edward W. Daigneault dringende Post vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg: Sadiq Ahmad (Name geändert) aus dem Sudan sei "bis auf Weiteres nicht nach Ungarn abzuschieben."

Damit stoppte das höchste europäische Menschenrechtsgericht per Vorläufiger Maßnahme, also in letzter Minute, erstmals einen Rücktransport in den österreichischen Nachbarstaat. Ein weiterführendes Verfahren wurde angekündigt. Am Donnerstag wurde der Sudanese unter Meldeauflagen aus der Schubhaft entlassen.

Ungarn steht wegen der Behandlung von Flüchtlingen zunehmend in der Kritik. Seit einer Gesetzesnovelle Ende 2010 kommen Flüchtlinge nach ihrem Asylantrag sowie nach einer Dublin-Rückschiebung in Haft. Dort bleiben sie bis zu ein Jahr lang.

Laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, das derzeit ein detailliertes Papier erarbeitet unterliegen die Schutzsuchenden dabei einem "strengen Gefängnisregime". Das ungarische Helsinki Komitee zitiert inhaftierte Flüchtlinge, die von gezielten Misshandlungen erzählen: Polizisten hätten sie "provoziert und zusammenzuschlagen". Zudem würden den Eingesperrten "systematisch Medikamente und Beruhigungsmittel verabreicht".

Als U-Boot in Wien

Auf diese Schilderungen hatte sich auch Anwalt Daigneault bezogen, als er am 2. Jänner für seinen sudanesischen Klienten beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien Schubhaftbeschwerde einlegte. Doch sowohl der UVS als auch die Fremdenpolizei sowie - am 10. Jänner - der Verwaltungsgerichtshof gingen auf die Zustände im magyarischen Asylwesen nicht ein. Statt dessen beschränkten sie sich darauf, die Schubhaft Ahmads als rechtmäßig zu bezeichnen. Der 30-Jährige war am 21. Dezember von Polizisten im Wiener Sudan-Klub angetroffen worden. Davor hatte er sieben Monate als U-Boot überlebt. Einem ersten Ungarn-Rückschiebeversuch im Mai 2011 hatte er sich durch Untertauchen entzogen: "Bevor Ahmad 2010 nach Österreich kam, war er als Flüchtling in Ungarn eingesperrt. Er wollte keinesfalls zurück", erläutert Diagneault-Mitarbeiter Gerhard Wallner.

"Dass der EGMR Rückschiebungen nach Ungarn in Einzelfällen stoppt, war nur eine Frage der Zeit", kommentiert Anny Knapp von der Asylkoordination. Nach Griechenland, wohin derzeit europaweit kein Flüchtling zurückgeschickt wird, rückten nun auch die Defizite in anderen EU-Staaten in den Mittelpunkt.

Tatsächlich hat das Straßburger Gericht zuletzt auch zwei Dublin-Fahrten von Österreich nach Italien unterbunden. Die Vorläufigen Maßnahmen wurden der Flüchtlings- und Deserteursberatung am 9. Dezember und 6. Jänner zugestellt. Betroffen waren psychisch kranke Asylwerber.

Der Innenministeriumskritik an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die als "Ankerkinder" ihre Familien nachkommen ließen, haben indes die Grünen konkrete Zahlen entgegengestellt.

20 Familien nachgeholt

2011 habe es "weniger als 20" derartige Familienzusammenführungen gegeben, sagte Grünen-Integrationssprecherin Alev Korun bei einem Hintergrundgespräch mit dem Experten Heinz Fronek. Zur Hilfe dazu sei Österreich zudem "international verpflichtet". (Irene Brickner, DER STANDARD; Printausgabe, 13.1.2012)