Eine richtige Rettungsgasse ist das hier auf der Wiener Südosttangente noch nicht. Auf der kürzesten, aber meistbefahrenen Autobahn Österreichs kann täglich geübt werden.

Foto: Christian Fischer

Wien - Wie alles beim Autofahren ist auch die seit Beginn des Jahres geltende Verpflichtung zur Bildung einer Rettungsgasse reine Übungssache. Mit 170.000 pro Tag über ihren Asphalt donnernden Autos ist die Wiener Südosttangente (A23) ein ideales Übungsgelände. Vor allem im Morgenverkehr. Ausfahrt St. Marx: Alles schleicht, noch bevor es zweispurig Richtung Gürtel steht. Von Rettungsgasse keine Spur, nur vereinzelt verdrücken sich Lenker wie vorgeschrieben (siehe Frage-Antwort-Kasten) nach links oder rechts.

Zehn Minuten später, kurz vor der Abfahrt Richtung Südbahnhof, in der Gegenrichtung dasselbe Bild. Nur dass diesmal ein Motorradfahrer mit Mistelbacher Kennzeichen demonstriert, wie es geht, auch kaum vorhandene Zwischenräume auszunutzen. Dann aber: Im Bereich Inzersdorf mit Fernziel Prag steht ausgerechnet auf der linken von drei Spuren ein Wagen, der Pannendienst ist schon da, die Rettungsgasse auch. In der ruhenden Blechschlange drehen sich viele Köpfe nach hinten, um auf die gelungene Übung zurückzuschauen. Einer hupt - weil es schon wieder weitergeht.

Auch Autobahn- und Schnellstraßenbetreiber (Asfinag), die dank Verkehrskameras einen bundesweiten Überblick haben, sowie Einsatzkräfte ziehen eine durchwachsene erste Zwischenbilanz: Perfekt war am Donnerstag beispielsweise die Rettungsgasse vor dem Plabutschtunnel Richtung Slowenien, wo ein Lkw Höhenkontrollalarm und in weiterer Folge die automatische Tunnelsperre ausgelöst hatte.

Krasse Fehlinterpretation

Eine krasse Fehlinterpretation der Rettungsgasse hat hingegen der Bundesfeuerwehrverband in Niederösterreich registriert: Auf der Stockerauer Schnellstraße (S5) drehte ein Lenker im Stau um und fuhr entgegen der Fahrtrichtung in der an sich richtig gebildeten Einsatzschneise bis zur nächsten Ausfahrt.

Im Innenministerium heißt es, dass die neue Regelung recht gut im zweispurigen Bereich funktioniere. Auf drei- oder vierspurigen Fahrbahnen hätten Autofahrer aber "teilweise Orientierungsprobleme". Die Ausrede, dass das vordere Fahrzeug nicht wie vorgeschrieben ausgewichen sei und man deshalb selbst auch nicht Platz gemacht habe, ist übrigens eine schlechte und schützt im Ernstfall nicht vor Strafe. Was viele Autofahrer auch noch nicht behirnt haben, ist, dass die Rettungsgasse erhalten bleiben muss, auch wenn bereits ein Einsatzfahrzeug vorbeigefahren ist. Es können ja weitere folgen. Erst wenn es für alle wieder zügig weitergeht, darf auf die Normalspur zurückgeschwenkt werden.

Auf rettungsgasse.com kürt die Asfinag täglich gelungene Gassen. Auf rettungsgasse.at hingegen - die Seite wird, wie berichtet, von Martin Standl, dem Ex-Sprecher des früheren Verkehrsministers Hubert Gorbach (FP), betrieben - wird hauptsächlich die drei Millionen Euro teure Infokampagne für die Rettungsgasse kritisiert. (Michael Simoner, DER STANDARD, Printausgabe, 13.1.2012)