Schriftprobe eines Kindes mit Legasthenie.

Foto: MPI CBS

Wissenschaftler aus Leipzig entwickeln einen Frühtest zur Diagnose von Legasthenie. Ziel ist es, Legasthenie bereits im Kleinkindalter zu erkennen und  dadurch früher und effektiver zu behandeln.

Legasthenie ist eine schwere und andauernde Störung im Erwerb und Gebrauch der  Schriftsprache. Den Betroffenen fällt es schwer, Gesprochenes in Schrift umzusetzen und umgekehrt. Dabei ist diese Form der Lese-/Rechtschreibschwäche keineswegs mit einer verminderten Intelligenz assoziiert. Da in der heutigen Gesellschaft jedoch ein Großteil des   Wissenserwerbs und ‐austauschs schriftsprachlich erfolgt, gehört die Legasthenie zu den    bedeutendsten Entwicklungsstörungen unserer Zeit. Etwa 5 Prozent aller Schulkinder sind von Legasthenie betroffen. 

Wertvolle Zeit geht verloren

Dabei ist Legasthenie gut therapierbar. Besonders erfolgversprechend erscheint dabei ein frühes Training bereits im Kindergartenalter. Voraussetzung dafür ist jedoch eine frühzeitige Diagnose. Die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Diagnoseverfahren basieren ausschließlich auf  schriftlichen und anderen sprachbasierten Tests. Diese können erst relativ spät durchgeführt  werden. Die Untersuchung von Kindern ist in der Regel erst kurz vor oder nach Schulbeginn möglich. Da wesentliche Grundlagen des Schrift-­‐ und Spracherwerbs jedoch bereits ab der Geburt erworben werden, geht wertvolle Zeit für die Therapie verloren.

In einem gemeinsamen Forschungsprojekt zwischen dem  Max-­Planck-‐Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und dem Fraunhofer-­Institut für Zelltherapie und Immunologie soll dieses Problem gelöst werden. Ziel ist es, ein zuverlässiges Diagnoseverfahren zu entwickeln, welches
bereits im Kleinkindalter durchgeführt werden kann, also lange vor dem Erwerb von Lesen und Schreiben. Zudem soll das Projekt wesentlich zum grundlegenden Verständnis der Legasthenie und ihrer zugrundeliegenden Pathogenese beitragen.

Neuronale Signaturen und genetische Muster

Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass Legastheniker bereits sehr frühzeitig in der Sprachverarbeitung charakteristische Veränderungen in der Gehirnaktivität zeigen. Zudem ist bekannt, dass Legasthenie auch genetisch bedingt ist. Somit sind entsprechende neuronale   Signaturen und genetische Muster viel versprechende Indikatoren, die zur Diagnose verwendet werden können. Gemeinsam werden die beiden Forschungsinstitute daher Patientengruppen mit modernen hirnphysiologischen und bildgebenden Verfahren, wie die Elektroenzephalographie und die Magnetresonanztomographie, auf solche Veränderungen untersuchen und genetische Risikovarianten anhand von Speichelproben identifizieren. Aus diesen Erkenntnissen wird ein breit einsetzbarer Frühtest entwickelt, der zukünftig potenziell gefährdete Kinder identifizieren soll.

Das Projekt wird in den nächsten drei Jahren mit knapp 2,5 Millionen Euro gefördert. Erste Studien und Gespräche mit Eltern zeigten bereits großes Interesse an einem solchen Test. Angela Friederici vom Max‐Planck‐Institut blickt zuversichtlich auf die Zusammenarbeit: "Das Projekt wird dazu beitragen, vielen Betroffenen einen leichteren Start in das Schulleben und somit auch in das spätere Berufsleben zu ermöglichen". (red)