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Über Mobilfunk vernetzte Sensoren könnten unter anderem dabei helfen, Versorgungs- und Entsorgungswege effizienter zu gestalten. Ein US-Projekt verfolgte damit den Weg von Abfällen in Städten.

Foto: EPA

Das Tempo und die weltweite Dimension, mit der sich Mobilfunk verbreitete, hat noch vor zwei Jahrzehnten kaum jemand vorausgesehen. "Es gibt derzeit 5,8 Milliarden mobile Anschlüsse, und 85 Prozent der Menschen auf diesem Planeten haben ein Handy", sagt Hans Vestberg, der CEO von Ericsson, das als Mobilfunkpionier und Netzwerkbauer an dieser rasanten Entwicklung wesentlichen Anteil hat. Aber das ist noch gar nichts: "Ich bin davon überzeugt, dass wir bis 2020 bereits 50 Milliarden verbundene Geräte haben", sagt Vestberg im Gespräch mit einer Runde von Journalisten bei der Consumer Electronics Show CES.

Längerfristige Entwicklungen unterschätzt

"Wir überschätzen meist die kurzfristige Entwicklung und unterschätzen die längerfristige", sagt Vestberg. Die erste Milliarde an Handybenutzern habe es nicht so schnell gegeben, wie viele erhofften. Dafür wurde die Fünf-Milliarden-Schwelle viel schneller erreicht, als irgendwer annahm. Vestberg unterscheidet sorgfältig zwischen Anschlüssen und Menschen, die ein mobiles Gerät benutzen: Der nächste große Wachstumsschub komme von vernetzten Geräten, die zu einer vernetzten Gesellschaft führen.

Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung präsentiert Vestberg bei der CES: Ericsson wird 400 Containerschiffe der Maersk Line, der größten Container-Reederei der Welt, vernetzen. "90 Prozent der weltweiten Fracht wird von Ozeanschiffen transportiert, und das mobile Schiffsnetzwerk wird alle Aspekte des Betriebs, der Beladung und des Treibstoffverbrauchs überwachen und dem Betreiber Information in Echtzeit liefern. Schon ein paar Stunden machen beim Verbrauch unserer Flotte enorme Unterschiede aus", erklärt Mike White, Präsident von Maersk Line USA.

Vernetzung in allen Bereichen

Die fortschreitende Vernetzung deckt alle Bereiche ab, sagt Vestberg, von Maschinen, die Maschinen Informationen liefern, bis zu Maschinen, die Menschen Information liefern und von Menschen Instruktionen bekommen. Anderswo auf der CES finden sich dafür bereits Angebote: Waschmaschinen, die über Apps gesteuert werden können und das Ende ihres Waschgangs anzeigen, entfernte Kameras, die sich bei Bedarf aktivieren und ihre Bilder auf das Handy der Benutzer übertragen. Und Autos, die bei einer Notbremsung die Information blitzartig an nachfolgende Fahrzeuge weitergeben, damit diese automatisch bremsen und einen Unfall vermeiden können.

Die Analyse der Datenmengen, die durch die rapide wachsende Anzahl vernetzter Geräte anfallen, können bei der Steuerung gesellschaftlicher Prozesse helfen. Etwa die Verkehrsinformationen, die aus Bewegungsdaten zahlreicher Handys resultieren: So kann man unter anderem erkennen, wenn große Veranstaltungen in Städten zu Ende gehen - Menschen drehen ihre Handys an und telefonieren oder verwenden Datendienste. Das ermöglicht es, Taxis und öffentliche Verkehrsmittel verstärkt an solche Hotspots zu schicken. Das Forschungsprojekt "Senseable City Lab" am renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology), an dem Ericsson beteiligt ist, arbeitet daran, aus aggregierten Daten vernetzter Geräte Kontrollsysteme in Echtzeit für Städte zu entwickeln, erklärt MIT-Professor Carlo Ratti.

Der lange Weg des Mülls

So untersuchte das Projekt "Trash Track", welche Wege Abfall zurücklegt: "Wir wissen zwar, wo die Dinge herkommen, aber nicht, wo sie landen", sagt Ratti. In Seattle wurden 3000 Abfälle von Bananenschalen bis zum Elektronikschrott mit Sensoren ausgestattet, die laufend ihren Standort meldeten. Daraus konnten die Müllströme verfolgt werden, was helfen kann, effizientere Entsorgungssysteme zu entwickeln. "Es gab Abfälle, die sich nach zwei Monaten noch immer quer durch das Land weiterbewegten", berichtet Ratti von den überraschenden Erfahrungen der Forscher.

Nicht nur reichen Ländern bringt diese Entwicklung zur vernetzten Gesellschaft Nutzen, ist Vestberg überzeugt. Ericsson sponsort das von zwei Dänen gegründete Projekt "Refugees United", das mithilfe von Mobiltechnologie Flüchtlingen hilft, Kontakt zu anderen Familienmitglieder zu finden. "43 Millionen Menschen leben als Flüchtlinge", sagt Christopher Mikkelsen, der die Initiative 2005 mit seinem Bruder Dave gründete. "Der Prozess, um Flüchtlinge zu finden und mit Angehörigen zu verbinden, beruhte noch vor einigen Jahren fast vollständig auf Kugelschreiber und Papier. " Durch den Einsatz mobiler Technologie habe man die Effizienz der Suche dramatisch verbessert, "und Flüchtlingen bekommen durch Handys die Möglichkeit, selbst aktiv an der Suche nach ihrer Familie teilzunehmen", sagt Mikkelsen.

Wenn mobile Geräte für solche Entwicklungen so wichtig sind, warum hat dann Ericsson seinen Anteil am Handy-Hersteller Sony Ericsson an Sony abgegeben? "Als sich die Mobilfunktechnik entwickelte gab es ohne Handy kein Netzwerk, darum mussten wir auch Handys machen. Smartphones heute erfüllen ganz viel verschiedene Aufgaben, zu denen wir nicht mehr so viel beitragen können, dafür ist Sony der Richtige", erklärt Vestberg. Ericsson konzentriere sich jetzt auf seine Rolle, die technischen Möglichkeiten der Netze weiterzuentwickeln. (Helmut Spudich aus Las Vegas/ DER STANDARD Printausgabe, 13. Jänner 2012)