Wien - Ein neuer Megatrend in medizinischer Wissenschaft und zunehmend auch in der klinischen Heilkunde: Die "personalisierte" oder "individualisierte" Medizin. Erstmals setzt sich in diesen Tagen ein hochkarätig besetztes Symposium in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien mit diesem Thema auseinander. Die wichtigsten Basisinformationen zu der neuen Entwicklung, die sich bereits in der Onkologie (Krebsmedizin) mit ersten Erfolgen etabliert hat.

Die personalisierte Medizin soll unter Zuhilfenahme vor allem molekularbiologischer Methoden die individuellen Charakteristika einer Erkrankung bei einem bestimmten Patienten berücksichtigen. Das soll die Wirkung der Therapie steigern und Nebenwirkungen vermeiden helfen, bedeutet aber gleichzeitig einen Umbruch in der herkömmlichen Betrachtungsweise von Gesundheit und Krankheit.

An der MedUni Wien wurde bereits das Projekt "Exact" des Forschungszentrums für Molekulare Medizin (CeMM) und der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik am AKH präsentiert. Dort soll personalisierte Krebsmedizin (personalisierte oder individualisierte Therapie) voran getrieben werden. So erklärte vor kurzem der MedUni Wien-Onkologe Gerald Prager bei der Präsentation des Projekts: "Wenn wir heute eine Gruppe von Patienten mit einem histopathologisch klassifizierten Tumor haben (nach Gewebeprobe, Anm.) geben wir die Standard-Ersttherapie. Bei einem Drittel der Patienten wird beispielsweise der Tumor kleiner und sie haben keine Nebenwirkungen. Das zweite Drittel hat keine Wirkung und nur Nebenwirkungen - und die dritte Gruppe keine Wirkung und auch keine Nebenwirkung."

Die personalisierte Krebsmedizin soll:

- Durch molekularbiologische Untersuchung von Krebszelle und/oder auch umgebendem Gewebe eine genauere Einteilung der beim individuellen Patienten vorliegenden Tumorerkrankung erlauben.

- Die Auswahl der Therapie ganz genau auf die Charakteristika des einzelnen Patienten ausrichten (nur der "passende" soll das "passende" Medikament erhalte) und gleichzeitig Nebenwirkungen verhindern. Gleichzeitig soll der Kosteneinsatz verbessert werden.

- Durch die Erkenntnisse aus der Molekularbiologie und der Entwicklung von individuellen Tumormarkern soll die Entwicklung neuer Krebsmedikamente verbessert werden. Dabei werden alte Grenzen aufgehoben: Ein Krebsmedikament, das beispielsweise zunächst für die zielgerichtete Behandlung von Mammakarzinomen entwickelt wurde, kann plötzlich auch für Patienten mit einem Prostatakarzinom geeignet sein.

Prager: "Die Tumorzellen eines Mammakarzinoms können dieselben Charakteristika aufweisen wie die eines Prostatakarzinoms." Das dürfte in der Zukunft zu einem Sprengen der Organgrenzen in der Onkologie führen: Nicht mehr "das Prostatakarzinom" wird per Therapie anvisiert, sondern ein ganz bestimmter Untertyp von Karzinomzellen, die auch die Ursache von Karzinomen in anderen Organen sein kann.

Erste Studien an Patienten weisen bereits darauf hin: So zeigte sich bei Krebskranken mit genau klassifizierten Tumoren bei "unterschiedlichen" Krebserkrankungen und nach Versagen jeder konventionellen Therapie, dass eine solche "zielgerichtete Behandlung" zu einer um ein Drittel längeren Stabilisierung der Erkrankung führte.

International ist ein enormer Bedarf für diese neue Entwicklung gegeben. Das liegt vor allem daran, dass die Medizin mit herkömmlichen medikamentösen Therapien in vielen Fällen einen Plafond erreicht hat, bei dem die Wirksamkeit kaum mehr erhöht werden kann. Das gilt auch speziell für die Onkologie. Günther Gastl, Innsbrucker Onkologe und derzeit Präsident der entsprechenden österreichischen Fachgesellschaft, erklärte dazu: "Die Krebserkrankungen werden zur häufigsten Todesursache werden. Im Jahr 2020 werden weltweit bereits rund zehn Millionen Menschen an Krebs sterben. In Österreich haben jedes Jahr rund 36.000 Patienten eine Neuerkrankung. Es gibt 17.000 Sterbefälle an Krebs. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate steigt und sollen jetzt beträgt derzeit 62 Prozent. Damit haben wir aber auch immer mehr Menschen mit Krebs, mit chronischen Krebserkrankungen." (APA)