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Eine Friedrich-Statue in Letschin/Brandenburg. Der "alte Fritz" regierte von 1740 bis 1786, länger als alle aus dem Hause Hohenzollern.

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"Preußenkugeln": Touristenkitsch muss sein im Jubiläumsjahr. Friedrich selbst liebte Schokolade sehr.

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Zum 300. Geburtstag zeigt sich: Der Blick auf ihn wird entspannter.

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Man kann dem alten Fritz und seinem Erbe zur Zeit gar nicht entkommen. "Don't miss it", heißt es schon bei der Gepäckausgabe am Flughafen Berlin-Tegel auf einer großen Leuchtreklame. Preußenkönig Friedrich II., aus dem später dann der Große wurde, steht - natürlich in Uniform - vor seinem prächtigen Schloss Sanssouci.

Sanft, wie Kaskaden, scheint sich die breite Freitreppe vor dem legendären Bau in Potsdam zu ergießen. Heiterkeit und Leichtigkeit liegen über dem Park. Sanssouci eben, ohne Sorge. Aber dies ist nur eine Seite des Königs. Auf der anderen stehen brutale Eroberungskriege mit vielen Toten, dazwischen liegen unzählige Facetten, die den Friedrich-Forschern bis heute Arbeit bescheren.

"Er hatte so viele Seiten, er war einmalig - nicht nur in der preußischen Geschichte insgesamt, sondern auch in der damaligen Zeit. Es gab niemand Vergleichbaren", sagt Bernd Sösemann, Historiker und Experte für preußische Geschichte an der Freien Universität Berlin, zum Standard.

Schon die Jugend Friedrichs füllt ganze Geschichtsbücher. In jungen Jahren erlebt er Dramen, die sämtliche zwischenmenschliche Schaurigkeiten eines späteren englischen Königshofes (Stichwort Charles & Diana) in den Schatten stellen. Friedrich, am 24. Jänner 1712 im Berliner Stadtschloss geboren, kann mit seinem Vater nicht und der nicht mit ihm.

Die Saufgelage am Hof, die Zoten, die Konzentration auf das Militärische und die Gottesfürchtigkeit von Friedrich Wilhelm I. widern den hochintelligenten Sohn zutiefst an. Er will weder reiten noch exerzieren, lieber spielt er Flöte, lernt Französisch und Latein. Der Vater, auch "Soldatenkönig" genannt, akzeptiert die Interessen des Erstgeborenen nicht.

Als er Friedrich eines Tages beim Lateinlernen erwischt, bekommt er einen Wutanfall, den der Sohn Jahre später so beschreibt: "Er packt mich an den Haaren, zieht mich unter dem Tisch hervor, schleppt mich so in die Mitte des Zimmers und versetzt mir einige Ohrfeigen." In die Knie zwingt er ihn dadurch nicht, Friedrich bleibt aufsässig und reizt den Vater, wo er nur kann. "Sein Gemüt war finster", schreibt selbst seine Lieblings-Schwester Wilhelmine später nieder.

Als sich die Lage nicht bessert, fasst der 18-jährige Friedrich 1730 einen kühnen Plan. Er will sich bei einer Reise nach Mannheim nach England absetzen, wo sein Onkel Georg II. regiert. Doch das Vorhaben misslingt. Der Vater ist außer sich, greift den Sohn zunächst mit dem Degen an, lässt ihn dann wegen Hochverrats in Isolationshaft stecken.

Hinrichtung des Freundes

Um den Filius zu strafen, befiehlt er, den besten Freund Friedrichs, den Offizier Hans Hermann von Katte, zu enthaupten. Friedrich muss zusehen, wie sein Vertrauter zum Schafott geführt wird und fällt dabei in Ohnmacht.

Danach passt sich Friedrich scheinbar an, unterwirft sich dem Vater und akzeptiert sogar seine künftige Frau, Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern. Anfangen kann er mit ihr überhaupt nichts. "Man will mich mit Stockschlägen verliebt machen", klagt er. Es ist zwar verbürgt, dass er sich eine Zeitlang bemühte, mit seiner jungen Gemahlin gemeinsam für Nachwuchs zu sorgen. Geklappt hat es nicht, mehrere Historiker gehen auch davon aus, dass Friedrich sich nichts aus Frauen machte.

Doch die Ehe bringt Privilegien. Zum ersten Mal darf der Kronprinz einen eigenen Hofstaat führen, sein Vater schenkt ihm Schloss Rheinsberg (im heutigen Brandenburg). Dort verlebt Friedrich die unbeschwertesten Jahres seines Lebens, komponiert, musiziert, korrespondiert mit dem französischen Philosophen Voltaire und schreibt den Anti-Machiavel.

Das Werk, eine Gegenschrift zu Niccolò Machiavellis Il Principe, ist eine Sensation in der damaligen Zeit. Während sich Herrscher anderswo als von Gott eingesetzt betrachten, befindet Friedrich, ein Herrscher sei "der erste Diener seines Staates", der eine gerechte Politik für seine Untertanen verfolgen solle: "Denn wie wir ohne Ketten geboren sind, so wollen wir auch ohne Knechtschaft leben."

Die Liberalen in Europa sind begeistert, erst recht als Friedrich 1740 nach dem Tod seines Vaters König wird und populäre Reformen einleitet. "Seine Königliche Majestät haben resolviret, in Dero Landen bei den Inquisitionen die Tortur gänzlich abzuschaffen", lässt er verkünden.

Doch nicht nur die Folter wird verboten, auch das Ertränken von Kindsmörderinnen nicht mehr gestattet. Die Bevölkerung kann Getreide zu niedrigen Preisen kaufen, die Zensur wird aufgehoben, Friedrich gründet eine deutsche und eine französische Zeitung.

Und am 22. Juni 1740 bringt er jenen Satz zu Papier, der bis heute zitiert wird, wenn es gilt, Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden auszudrücken: "Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden (...), den hier mus ein jeder nach seiner Fasson Selich werden."

Einwanderern und religiösen Minderheiten (Hugenotten, Katholiken, Muslimen) stand Friedrich tolerant gegenüber. "Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie ausüben, ehrliche Leute sind; und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen", erklärt er.

"Das war zunächst Avantgarde, fast schon Multikulti, man erwartete es einfach nicht von einem Herrscher", sagt Historiker Sösemann, "Friedrich hat wirklich versucht, etwas zu verändern, wenngleich vieles in den Ansätzen stecken geblieben ist und er letztendlich inkonsequent war." Es kommt später wieder zu Pressezensur, und die vielgerühmte Religionsfreiheit erweist sich bei näherer Betrachtung auch als nicht ganz so edelsinnig, wie es der Herrscher gerne vermitteln möchte.

Tatsache ist: Friedrich braucht Einwanderer, sein sandiges und karges Land ist nur dünn besiedelt. Und sein "Erlaß eines Revidierten General-Privilegiums und Reglements für die Judenschaft im Königreich Preußen" aus dem Jahr 1750 ist wahrlich kein Ausbund an Toleranz. Es unterscheidet zwischen "ordentlichen Schutzjuden", die ihr Wohnrecht auf eines ihrer Kinder vererben dürfen, und "außerordentlichen Schutzjuden", deren Kinder im Falle ihres Todes auswandern müssen.

Dennoch: Zunächst überrascht Friedrich seine Untertanen positiv. Und bald auch noch auf ganz anderem Gebiet. Der König ist ehrgeizig, er will in den Kreis der ganz Mächtigen aufrücken. Preußen, damit verbindet man heute immer noch ein Riesenreich mit großer Ausdehnung. 1740 aber war Preußen bloß das Gebiet des heutigen Berlin/Brandenburgs, dazu gab es noch ein paar verstreute Territorien an der holländischen Grenze.

Friedrich führt drei Kriege

In Wien ist gerade erst Maria Theresia auf den Thron gekommen - eine Frau. Obwohl Friedrichs Vater Friedrich Wilhelm I. die Pragmatische Sanktion, die Erbfolgeregelung und Unteilbarkeit der Habsburger Territorien, anerkannt hatte, forderte Friedrich Schlesien für sich und marschierte dort im Dezember 1740 ein. "Er ist ein Wahnsinniger. Der Mann ist verrückt", befindet der französische König Ludwig XV.

Preußen ist nicht mehr als ein Zwergstaat, Österreich hingegen, neben Frankreich und Russland, eine Supermacht. Doch Friedrich hat von seinem Vater ein hervorragend ausgebildetes Heer übernommen und lässt den Drill perfektionieren.

Zwei verlustreiche Kriege führt Friedrich, dann gehört Schlesien endgültig zu Preußen. Als er nach Berlin heimkehrt, ist ihm seine neue Bezeichnung gewiss: Friedrich der Große. "Der Stier muss Furchen ziehen, die Nachtigall singen und ich muss Krieg führen", sagt er. Im Gegensatz zu anderen Herrschern befehligt er seine Soldaten selbst. Auch im Siebenjährigen Krieg, seinem dritten und letzten großen Feldzug. Da kämpft Preußen mit Großbritannien gegen Österreich, Frankreich und Russland. Es gelingt den Gegnern nicht, Preußen wieder auf regionale Größe zurückzustutzen.

Dieses Durchhaltevermögen und der Kampfgeist werden später von den Nazis instrumentalisiert. "Friedrich selbst hatte mit Nationalismus nichts am Hut. Aber autoritäre Regime zehrten von ihm, indem sie ihn auf einen Durchhalte-Politiker verkürzten", sagt Sösemann. Auch die Erinnerung an den Glanz der preußischen Geschichte und den Aufstieg Preußens zur Großmacht wussten die Nationalsozialisten für ihre Zwecke zu nutzen.

"Keine Persönlichkeit der deutschen Geschichte steht unserer Zeit näher als Friedrich der Große", schreibt Luftwaffenchef Hermann Göring 1940. Im guten und im schlechten Sinn wird Friedrich auch später noch mit den berühmten preußischen Tugenden in Verbindung gebracht. Disziplin, Fleiß, Gehorsam, Pünktlichkeit - den einen gelten sie als Erfolgsgarantie. Die 68er hingegen verdammen sie später, ihnen sind sie ein zu enges Korsett. Und der von den Nazis gefeierte Friedrich gilt als autoritärer Aggressor.

Der Ruf nach preußischen Tugenden wird jedoch gelegentlich heute noch laut, wenn es gilt, eine Sache durchzuziehen und dabei eigene Mühen und Anstrengungen in Kauf zu nehmen. So schaltete der Ex-Chef der privaten deutschen Weberbank Ehrhardt Bödecker im Oktober 2011 ein ganzseitiges Inserat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und mahnte die deutsche Kanzlerin und ihren Finanzminister zu mehr Sparsamkeit. Darin hieß es, neben einem Bild von Friedrich dem Großen: "Sehr geehrte Frau Merkel und sehr geehrter Herr Schäuble, der preußische König Friedrich II. (der Große) forderte von seiner Regierung solide Grundsätze. Erster Grundsatz war danach Sparsamkeit. Mit diesen Grundsätzen hat Preußen als Staat und Führungsmacht die Kraft entwickelt, Deutschland nach Jahrhunderten der Zersplitterung endlich zu einem einheitlichen Land zu einen. Davon zehren wir noch heute."

300 Jahre nach seiner Geburt hat Friedrich vielen immer noch etwas zu sagen. Aber ist über ihn nicht schon alles gesagt worden, seit er am 17. August 1786, nach 46-jähriger Regentschaft, in Potsdam starb? "Nein, denn jede Zeit und jede Gesellschaft macht sich ihre Geschichte neu", findet die Neuzeithistorikerin Monika Wienfort von der Technischen Universität Berlin, ebenfalls eine Preußen-Expertin.

Verdammt und glorifiziert

Den Begriff Preußen sieht sie heute "stark entpolitisiert". Früher seien Historiker, die "über Preußen sprachen, eher konservativ gewesen". Heute jedoch gehöre diese "Preußenverklärung" der Vergangenheit an. "Es gibt nicht mehr die harte Frontstellung, dass man Friedrich den Großen entweder verdammt oder glorifiziert", sagt auch ihr Kollege Sösemann.

Der Wandel habe in den Achtzigerjahren eingesetzt und sei durch die Wiedervereinigung im Jahr 1990 noch einmal beschleunigt worden, meint Wienfort. Denn erst nach dem Fall der Mauer ist Friedrichs Refugium im vormals ostdeutschen Potsdam den Westdeutschen zugänglich geworden. Nach der Sanierung der Schlösserwelt staunten Besucher aus aller Welt, welchen Schatz der alte Fritz hinterlassen hat.

Potsdam, die Hauptstadt Brandenburgs, grenzt unmittelbar an Berlin an und ist so etwas wie Berlins prächtige kleine Schwester. Erste Pläne für das Rokokoschloss Sanssouci, das wie die anderen Schlösser und Gärten zum UNESCO-Welterbe gehört, hat Friedrich selber gezeichnet.

Im Marmorsaal tagt seine "Tafelrunde", ein illustres Gremium aus Generälen, Schriftstellern und Gelehrten. Der Star ist lange Zeit Voltaire, von dem man allerdings erfährt, dass Friedrich nicht allzu viel Zeit für seine Amtsgeschäfte verschwendet: "Ein großer Herrscher bis zur Mittagsstunde, am Nachmittag Schriftsteller ersten Ranges, tagsüber Philosoph voll edlen Dranges und abends göttlich in der Tafelrunde."

Tafelrunde ohne Frauen

Zugang zur Runde haben jene, die Friedrich inspirieren. Frauen allerdings gehören nicht dazu, schon gar nicht seine eigene. Die hat Friedrich ins Berliner Schloss Niederschönhausen verbannt.

Apropos Berlin: Auch dort verwirklichte sich Friedrich architektonisch, ließ unter anderem ein Opernhaus bauen und den Gendarmenmarkt anlegen. Im Jahr 1742 will er, obwohl er gerade Krieg führt, von seinem Freund, dem Architekten Georg von Knobelsdorff, über Fortschritte unterrichtet werden: "Veranlassen sie den dicken Knobelsdorff, dass er mir schreibe, wie es in Charlottenburg, meinem Opernhause und meinen Gärten aussieht. Ich bin in diesen Dingen wie ein Kind; das sind meine Puppen, mit denen ich spiele." Das kulturelle Erbe stellt bei der Betrachtung Friedrichs heute einen genauso wichtigen Aspekt dar wie die Reformen oder Kriege. "Es wird akzeptiert, dass es gleichermaßen eine helle Seite und eine dunkle Seite von ihm gab", sagt Wienfort.

Strukturreformen, Aufklärung, Schlösser und Gärten versus Kriegsgelüste mit hunderttausenden Toten und großer Not unter der Zivilbevölkerung. Das Ende Preußens kam 161 Jahre nach Friedrichs Tod. 1947 erklärte der Alliierte Kontrollrat schlicht: "Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. (...) Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst." (Birgit Baumann/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15. 1. 2012)