Bild nicht mehr verfügbar.

Schuluniformen führen nicht unbedingt zur Gleichheit der Schüler.

Foto: reuters/MacGregor

Englische Kinder, die mit fünf Jahren schulpflichtig werden, haben zwei mehr oder weniger "gordische" Knoten zu meistern: die Knoten ihrer Schuhbänder und den Knoten der Krawatte ihrer Schuluniform. Das Problem mit den Schuhbändern hat sich durch die Klettverschlüsse der meisten Kinderschuhe weitgehend von selbst erledigt. Für den Krawattenknoten ist in den ersten Schuljahren Mummy zuständig.

Hatten in den 1960er- und 1970er-Jahren manche Schuldistrikte in einem Anflug von "Liberalisierung" und Skepsis gegenüber Uniformen und Ritualen die Schuluniformen abgeschafft, so ist die englische Schülerschaft inzwischen wieder durchgehend uniformiert. Die häufigste Erscheinungsform: Knaben tragen ein weißes Hemd, im Sommer eine kurze, im Winter eine lange dunkle Hose, die Mädchen eine weiße Bluse und einen Faltenrock; beide Geschlechter tragen einen Blazer mit dem Schulemblem, im Winter auch einen Pullover in der "Schulfarbe", sowie die unvermeidliche Schulkrawatte.

Schuluniformen sind im uniformfreudigen England so selbstverständlich, dass es kaum offizielle Begründungen dafür gibt. Ihre Hauptfunktion ist die Bestärkung des Gemeinschaftsbewusstseins ("bonding") und der Loyalität der Schüler gegenüber ihrer Schule. Außerhalb der Schule ermöglichen die Uniformen ein Stück soziale Kontrolle. Schüler, die sich z. B. im städtischen Bus ungebührlich verhalten, sind nicht anonym, sondern an ihren Blazern mit dem Schulwappen als Schüler der Schule X zu erkennen und können so von ihrem Headmaster ausgeforscht und zur Rechenschaft gezogen werden.

Jugendliche Sekundarschüler und (vor allem?) Sekundarschülerinnen sind durch die Uniformierung zumindest in der Schule vom Zwang befreit, einander mit teuren modischen Designerklamotten zu imponieren. Die "Egalisierung" durch die Schuluniformen hat allerdings Grenzen. Während die Mehrheit der Kinder in sauberen, gebügelten Uniformen zur Schule kommt und diese mit Stolz trägt, lassen die Uniformen von Kindern aus "bildungsfernen" Elternhäusern einiges zu wünschen übrig. Manche Uniformen haben allerdings noch eine ganz andere Funktion, nämlich die der sozialen Distinktion; sie signalisieren, dass Daddy imstande und bereit ist, bis zu 30.000 Pfund pro Jahr für eine Privatschule auszugeben.

Einer erheblichen Zahl von Oberstufenschülern sind die Regeln, Routinen und Rituale des Schulalltags - nicht zuletzt die Uniformpflicht - zu beengend. Sie wandern mit 16 Jahren an Colleges of Further Education ab, multifunktionale kommunale Einrichtungen der Berufs- und Erwachsenenbildung, an denen man auch in den allgemeinbildenden Fächern die der Matura entsprechenden A-Level-Prüfungen ablegen kann. Hier wird man wie ein Erwachsener behandelt und kann problemlos in einem übergroßen Bob-Marley-T-Shirt oder in einem schwarzen "Gothic"-Outfit herumlaufen, und kein Schuldirektor macht einen - freundlich oder streng - darauf aufmerksam, dass das heraushängende Hemd der Schuluniform in die Hose gesteckt und die Schulkrawatte zurechtgerichtet gehört. (Karl Heinz Gruber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.1.2012)