Niki Kowall & Co: SP-Spitzen dürfen sich nicht erpressbar machen lassen.

Foto: Standard/Corn

Werner Faymann, entrückt: Setzt sich der Kanzler in der Frage der Schuldenbremse "autokratisch" über die schweigende Mehrheit in seiner Partei hinweg?

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Seit Jahrzehnten ist es ein Fixpunkt der SPÖ-Wirtschaftspolitik, jedem Wirtschaftsabschwung mit Konjunkturpaketen zu begegnen. Die Tatsache, dass Österreich die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU hat, ist nicht zuletzt dieser Kontinuität in der Konjunkturpolitik geschuldet. Vor der Krise verursachte diese Politik nicht einmal Ausgabenprobleme. Der Anteil der Staatsausgaben am BIP sank zwischen 1995 und 2007 von 56,4 auf 48,3 Prozent und erreichte damit den niedrigsten Wert der vorangegangenen 30 Jahre. Dadurch sank auch die Gesamtverschuldung zwischen 1999 und 2007 von 67 auf 60 Prozent des BIP. Eine hohe Beschäftigung und ein kontinuierlicher Rückgang der Staatsverschuldung waren vor der Krise kein Widerspruch.

Die Schuldenbremse deutscher Spielart zwingt zu einer gänzlich anderen Politik, weil für Konjunkturpakete kaum noch Spielraum besteht. Noch schlimmer ist der Umstand, dass ein Anstieg des Defizits im Abschwung, wegen steigender Kosten für Arbeitslosigkeit oder sinkender Einnahmen aus Steuern, mit zusätzlichen Einsparungen beantwortet werden müsste, um einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten.

Selbst mit großer steuerlicher Umverteilung kann man nicht wieder gutmachen, was man durch diese krisenverschärfende Politik an Arbeitslosigkeit und Armut verursacht. Wie die sozialdemokratische Konjunkturpolitik über Nacht auf die Müllhalde der Geschichte geworfen und durch die Schuldenbremse ersetzt wurde, ist ein Lehrstück über die Funktionsweise von Macht in der SPÖ.

Werner Faymann kehrte vom EU-Gipfel im Dezember zurück und verkündete, er wolle die Schuldenbremse deutscher Spielart in die österreichische Verfassung schreiben. Diese Kehrtwende wurde mit den maßgeblichen Akteuren der österreichischen Sozialdemokratie nicht abgesprochen. Doch es gibt niemanden in der SPÖ, die/der von der bewährten Politik der Konjunktursteuerung - dem Herzstück sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik - abrücken wollte. Im Gegenteil, wer in die Partei hineinhört, weiß, es gibt eine schweigende Mehrheit gegen die Schuldenbremse. Wieso lassen sich die Spitzen von Ländern und Gewerkschaften die Kehrtwende trotzdem gefallen? Würden sie offen rebellieren und einige Abgeordnete aus den Reihen der SPÖ bei der Abstimmung im Nationalrat "herausbrechen", hätte der Kanzler keine Mehrheit mehr und es gäbe Neuwahlen. Die FPÖ würde nach einem solchen roten Knittelfeld wohl zur stärksten Kraft in Österreich.

Aus dieser vermeintlich vernünftigen Logik heraus, beugen sich die SPÖ-Spitzen im Nachhinein dem Kanzler. Doch dass Werner Faymann prosaische Entscheidungen im Alleingang treffen kann, haben die wichtigsten Funktionäre schon im Vorhinein verantwortet. Sie müssten seit Jahren klarstellen, dass ein Parteivorsitzender alle grundlegenden Entscheidungen - zu denen Verfassungsänderungen zweifellos gehören - im Parteipräsidium abzusprechen hat, bevor die Öffentlichkeit informiert wird. Wenn sie das nicht einfordern, sind sie im Nachhinein immer erpressbar, wenn Faymann via Medien Fakten schafft. Das Parteipräsidium hat die Verantwortung dafür, ob die SPÖ eine autokratische geführte One-Man-Show ist oder nicht.

Das österreichische Demokratieproblem ist aber nur ein Mosaikstein des europäischen Demokratiedesasters. Die nationalen Parlamente spielen in Europa nicht mit, das europäische Parlament ist zu schwach um wirkungsvoll zu handeln. Die Kommission wird durch die multilateralen Initiativen - vom ESM bis zur Fiskalunion - permanent ausgehebelt. Was entsteht, ist kein europäisches Recht, sondern Deals zwischen Nationalstaaten. Was wir erleben, ist die Polykratie der Landesfürsten, die alle legislative und exekutive Macht auf sich vereint haben - siehe Werner Faymann, der als exekutives Organ im Alleingang eine Schuldenbremse in der Verfassung durchsetzen kann.

Wobei es bei der europäischen Entscheidungsfindung ganz offiziell nur zwei Kurfürsten bzw. -fürstinnen gibt, nämlich jene von Frankreich und Deutschland. Da sich Sarkozy immer beugt, passiert in der Europäischen Union letztlich das, was Angela Merkel will. Zwölf Millionen deutsche Stimmen für die CDU bei der Bundestagswahl 2009 entscheiden nun über Schicksalsfragen für eine halbe Milliarde Europäer/innen. Das Friedensprojekt Europäische Union ist heute ein Diktat der deutschen Konservativen.

Was zu tun wäre

Was können wir in Österreich noch tun? Zumindest die nationalen Spielräume ausloten und uns nicht die restriktive deutsche Schuldenbremse - die in ihrem Herkunftsland auch von konservativen Fachleuten als völlig unausgegoren betrachtet wird - in die Verfassung zu schreiben. Wir fordern das Bundesparteipräsidium auf, sich nicht darauf auszuruhen, dass der Kanzler selbst wissen müsste, was er macht. Das Bundesparteipräsidium soll seine Verantwortung wahrzunehmen, um aus dieser Situation das Bestmögliche herauszuholen.

Das bedeutet konkret, es muss in Abstimmung mit den Grünen vereinbart werden, dass a) starke Konjunktureinbrüche in den Ausnahmenkatalog für die Schuldenbremse aufgenommen werden müssen, b) dass die Konsolidierungsdauer gestreckt wird, um nicht permanent die Konjunktur zu gefährden und c) dass die für das Verfahren sehr bedeutsame Berechnungsmethode im Rahmen der EU-Vorgaben aus dem Finanzministerium zu den Sozialpartnern wandert. Damit würden der Schuldenbremse die Giftzähne gezogen und der Kanzler könnte sein Gesicht wahren. (Niki Kowall, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.1.2012)