Kritisiert den "Unwillen einzusparen" bei allen Kulturinstitutionen: Stadttheater-Prinzipalin Anita Ammersfeld.

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Standard: In dieser Interview-Reihe suchen sich die Gäste einen Gesprächsort aus, den sie für besonders wienerisch halten. Was ist an diesem kleinen Theater besonders wienerisch? Könnte das nicht überall auf der Welt sein?

Ammersfeld: Ich hoffe nicht. Es war mir von Anfang an wichtig, dass wir eine eigene, neue Linie finden. Das ist uns künstlerisch, auch wirtschaftlich gelungen. Ein immer größer werdendes Stammpublikum stellt sich ein. Das mediale Interesse ist sehr hoch. Wir sind ein gut etabliertes Wiener Theater.

Standard: Welche Linie fanden Sie?

Ammersfeld: Das Haus hat eine lange Tradition. Das war ja früher das Theater am Kärntnertor, das Gerhard Bronner geleitet hat. Und danach war es ein Haus, das über viele Jahre Boulevardkomödien gespielt hat. Es war für mich wichtig, dass wir uns von Letzterem absetzen. Wir verfolgen hier einerseits eine Tradition, da bin ich auch stolz, dass die Elite der österreichischen Kabarettszene hier gerne auftritt, weil sie unser Publikum als besonders empfinden. Andererseits haben wir hier aufsehenerregende Eigenproduktionen gemacht, Felix Mitterer etwa hat ein Auftragswerk fürs Stadttheater geschrieben, Der Patriot, wo es um Franz Fuchs ging. Wir haben Interview von Theo van Gogh als Allererste im deutschsprachigen Raum herausgebracht. Paradiso mit Hilde Sochor war eine Uraufführung. So gestalte ich das Haus inhaltlich.

Standard: Ich erkenne einen gewissen Fokus auf Stücke, die mit der Aufarbeitung der Shoah zu tun haben und auf jüdische Autoren. Zufall oder Absicht?

Ammersfeld: Das ist schon auch Teil der Identität dieses Hauses, obwohl ich mich dagegen verwahre, dass wir als jüdisches Theater bezeichnet werden. Das wäre nicht richtig und nicht in meiner Intention. Aber dass immer wieder dieses Thema in den Spielplan einfließt, ist naturgemäß, weil es Stücke zu dem Thema gibt, die es lohnt zu zeigen und die auch auf die Gefahren der Zukunft hindeuten - auch in Österreich.

Standard: Sie spielen einerseits anspruchsvolle Stücke, andererseits Kabarett und Gastauftritte. Wo ist die Identität Ihres Hauses?

Ammersfeld: Ich würde die Identität meines Hauses mit Qualität und Vielfalt definieren. Das ist, womit wir in der Wiener Theaterszene punkten. Aufgrund der geringen Mittel aus öffentlicher Hand, die wir bekommen, sind wir gezwungen, auch Fremd- und Gastproduktionen in den Spielplan aufzunehmen. Da prüfe ich aber ganz genau: Was sind das für Stücke, wie sind die besetzt, und ich arbeite auch mit freien Gruppen zusammen, die Qualität sichern.

Standard: Sehen Sie sich als Theater für gehobene Unterhaltung?

Ammersfeld: Gehobene Unterhaltung mit Anspruch und mit Haltung. Das verfolge ich sehr strikt bis hin in die Kabarettszene. Wir füllen praktisch eine Marktlücke in der Wiener Theaterszene, weil wir einen sehr vielseitigen, aber keinen beliebigen Spielplan haben. Eigenproduktionen suche ich ganz genau aus, damit sie diesem hohen Anspruch entsprechen, den wir uns selbst stellen.

Standard: Inwiefern ist Ihr Publikum besonders, wie Sie sagen?

Ammersfeld: Ich würde unser Publikum als intelligent, offen, kritisch und urban bezeichnen. Das erwähnen auch die Künstler immer wieder. Herman Van Veen etwa kommt immer gern, weil er das Haus und unser Publikum so mag.

Standard: Wie ist der Altersschnitt?

Ammersfeld: Das ist unterschiedlich. Die Tiger Lillies, die zu Beginn des Sommers kommen, bringen sicherlich ein weitaus jüngeres Publikum und auch teilweise die Großen der Kabarettszene. Unsere Eigenproduktionen haben ein Publikum zwischen 35 und 65.

Standard: In vielen Studien wird die Politikverdrossenheit der Jugend angeprangert - bemerken Sie das auch an deren Fernbleiben, wenn Sie politische Stücke spielen?

Ammersfeld: Der Cleopatra-Club von Paul Schrader war ein politisches Stück, und da kamen viele junge Leute. Der Tod und das Mädchen ist ein politisches Stück und hat auch sehr viel Jugend angezogen.

Standard: Also keine politikverdrossene Jugend?

Ammersfeld: Ich glaube, dass es eine Verdrossenheit gibt unter der Jugend. Die Auseinandersetzung mit Politik ist geringer geworden, letztlich auch mit dem Theater. Es gibt so viel, was wegführt davon. Menschen beschäftigen sich pausenlos über Facebook, Twitter, über Internet, holen sich da ihre Informationen, sind oft nicht mehr in der Lage, eine Diskussions- und Gesprächskultur zu entwickeln, sich auszutauschen. Und dieses Manko führt dann oft dazu, dass es zu einer Ermüdung der Menschen kommt, gerade, was Politik und Kultur betrifft.

Standard: Wenn Sie Stücke spielen, die sich mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit Österreichs im weitesten Sinne befassen, gibt es da Reaktionen im Sinne von "Lasst endlich die Vergangenheit ruhen"?

Ammersfeld: Nein, die Erfahrung habe ich nicht gemacht. Wenn solche Stücke auf dem Spielplan stehen, gibt es allerdings dafür weniger Publikum, als ich mir wünschen würde. Weil Menschen einfach generell nicht mehr bereit sind, sich mit dem Thema zu konfrontieren. Es ist ihnen zu belastend, und heutzutage ist alles so schnelllebig. Die Leute wollen sich in erster Linie unterhalten. Diese Mischung aus Unterhaltung und Anspruch, das sehen wir als unsere Aufgabe.

Standard: Wie sehen Sie insgesamt die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Wien?

Ammersfeld: Die Kulturschaffenden machen viel zu dem Thema, das finde ich sehr in Ordnung. Aber man muss immer ankämpfen gegen die Tendenz zu verdrängen. Ein Beispiel: Im Frühjahr 2005 eröffneten wir das Theater mit dem Lewinsky-Stück Freunde, das Leben ist lebenswert, da ging es um die von den Nazis verfolgten und teils ermordeten Künstler Fritz Grünbaum, Hermann Leopoldi und Fritz Löhner-Beda. Es war April, als wir das auf die Bühne brachten, und wir waren die ersten in diesem Gedenkjahr. Es folgte später Schottenberg mit dem Spiegelgrund-Stück, aber sonst wurde zu dem Thema nicht viel gezeigt.

Standard: Sie sind in der Szene nicht sehr beliebt. Man wirft Ihnen vor, Sie hätten bei der Übernahme des Stadttheaters beteuert, Sie wollten keine Subventionen. Dann hätten Sie aber sehr wohl Druck gemacht, um Förderungen zu erhalten - mit Erfolg. Was sagen Sie?

Ammersfeld: Das muss ich grundlegend richtigstellen. Als wir begannen, wurde die Konzeptförderung für Theater auf einen Vier-Jahres-Zeitraum umgestellt. Ich wusste, dass diese Förderungen bereits vergeben waren, und sagte: Ich mach es trotzdem, auf eigene Faust. Ich habe aber nicht gesagt, dass ich grundsätzlich auf jegliche Förderung verzichte.

Standard: Das hat man offenbar in der freien Theaterszene, die sowieso unter chronischem Geldmangel leidet, anders verstanden.

Ammersfeld: Ich verstehe nicht, was man mir vorwirft. Wir sind nie in die Vier-Jahres-Förderung aufgenommen worden. Es gab konstruktive Gespräche, nachdem wir schon einige Spielzeiten lang bewiesen hatten, dass wir viel zu bieten haben. Wir haben dann sehr geringe Förderungen bekommen, die ein Sechstel meines Budgets ausmachen. Mit den öffentlichen Mitteln gehe ich sehr gewissenhaft um. Das Kontrollamt hat uns vor kurzem eine römische Eins ausgestellt im Hinblick darauf, wie wirtschaftlich und transparent dieses Theater geführt wird. Dabei habe ich massiv umgebaut und investiert. Langsam wird es Zeit, dass die sogenannte Szene, die übrigens ein Vielfaches an Förderungen bekommt, unsere Leistungen genauso anerkennt wie einige Theaterleiter, mit denen wir ein äußerst amikales Verhältnis pflegen und mit denen wir auch die eine oder andere Kooperation eingehen.

Standard: 300.000 Euro pro Jahr, das ist nicht wenig Geld.

Ammersfeld: Natürlich nicht. Sie provozieren mich! Einerseits ist es nicht wenig Geld, andererseits ist es ein Bruchteil im Vergleich zu dem, was andere Häuser in unserer Größenordnung bekommen. Hätte ich mehr zur Verfügung, könnte ich natürlich mehr Eigenproduktionen machen. Derzeit schaffen wir nur drei pro Jahr. So leicht, wie manche glauben, habe ich es nicht.

Standard: Was läuft falsch in der österreichischen Kulturpolitik?

Ammersfeld: Ich glaube, es liegt am Unwillen einzusparen. Den orte ich bei allen Institutionen, und das verstehe ich nicht. Man kann fast überall den Sparstift ansetzen ohne Qualität zu verlieren. Wir kommen hier zum Teil mit Ausstattungsbudgets aus, die sogar der Off-Szene zu mini wären. Aber es geht alles, wenn man will. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.1.2012)