Er erklärt Birgit Baumann auch, warum der deutsche Bundespräsident Christian Wulff so standhaft ist.
*****
STANDARD: Christian Wulff ist immer noch im Amt. Wundert Sie das?
Beucker: Nein. Nach dem überraschenden Rücktritt seines Vorgängers Horst Köhler 2010 hat Kanzlerin Angela Merkel extra einen Vollblutpolitiker gewollt, der ein starkes Durchhaltevermögen hat. Das zeigt Wulff jetzt.
STANDARD: Aber es gibt schwere Vorwürfe gegen ihn. Er war bei seinem Kredit nicht ehrlich.
Beucker: Nicht nur da. Wäre Wulff noch Ministerpräsident von Niedersachsen, hätten die Vorwürfe gegen ihn bereits ausgereicht, ihn zum Rücktritt zu zwingen.
STANDARD: Warum nicht als Bundespräsident? Es ist das höchste Amt und nicht weniger wert als das Amt eines Ministerpräsidenten.
Beucker: Der Bundespräsident gilt als eine Art Ersatzkaiser, der über den Parteien schwebt und den man nicht allzu aggressiv angreifen darf, weil dadurch auch das Amt beschädigt wird. Er ist nicht abwählbar, ein Ministerpräsident hingegen hat eine Partei hinter sich, die unweigerlich in Affären gezogen und unruhig wird.
STANDARD: Und die drängt dann irgendwann auf Rücktritt?
Beucker: So ist es. Ich habe mehr als 40 Rücktritte in der Bundesrepublik analysiert. Im Fall einer Affäre ist kein einziger Politiker zurückgetreten, weil er selbst den Fehler einsah. Immer waren es die Parteifreunde, die gedrängt haben, um Schaden abzuwenden. Rücktritte sind eine Kosten-Nutzen-Rechnung, das war schon bei mehreren Ministerpräsidenten so.
STANDARD: Bei welchen?
Beucker: Die bekanntesten sind Max Streibl in Bayern und Lothar Späth in Baden-Württemberg. Beide haben sich in Amigo-Affären Urlaube bezahlen lassen, verstanden aber auch nach dem Rücktritt nicht, was sie falsch gemacht hatten. Originellerweise stolperte auch ein Vorgänger Wulffs in Niedersachsen über Zuwendungen von Freunden: Ministerpräsident Gerhard Glogowski (SPD) ließ sich auch auf Urlaube einladen und seine Hochzeitsfeier sponsern. Wulff, der damals noch Oppositionsführer war, geißelte sein Verhalten scharf.
STANDARD: Haben Rücktritte stets eine ähnliche Dramaturgie?
Beucker: Ein entscheidender Fakt dabei ist: Die Verfehlung selbst kann klein sein, wenn aber das Krisenmanagement danach schlecht ist und die Affäre immer weiter köchelt, dann überstehen Politiker das meist nicht.
STANDARD: Wer den ersten Sturm übersteht, hat gute Chancen?
Beucker:Grundsätzlich ja, denn irgendwann flaut das Interesse der Bürger und Medien ja auch wieder ab. Aber es gibt Ausnahmen. Der ehemalige Verkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) war in fragwürdige Finanzgeschäfte bei seinem Fußballverein verwickelt, lehnte einen Rücktritt aber ab. Die Vorwürfe dümpelten ein Jahr dahin, dann wurde Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue erlassen, und er musste doch gehen.
STANDARD: Gibt es andere Gründe für Rücktritte außer Affären?
Beucker: Kaum. Ich habe nur wenige Beispiele gefunden, wo jemand aus politischer Überzeugung aufgab. Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat in den 1990er-Jahren aus Protest gegen den großen Lauschangriff als Justizministerin zurück. Gustav Heinemann legte im Kabinett des ersten Kanzlers Konrad Adenauer (CDU) sein Amt als Innenminister nieder, weil er gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik war. Es schadete der Karriere nicht. Leutheusser-Schnarrenberger ist heute wieder Justizministerin, Heinemann wurde sogar noch Bundespräsident - und nicht der schlechteste. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.1.2012)