Informatikerin und Frauenforscherin Ina Wagner war von 1987 bis 2011 Professorin an der TU Wien und begründete dort ihr Fachgebiet Multidisziplinäres Systemdesign, eine Kombination von Informatik, Sozialwissenschaften und Kunst: "In meinem Bereich hat es kaum Frauen gegeben, die aus den Naturwissenschaften kamen und sich mit feministischen Positionen auseinandersetzten. Das hat sich bis heute sehr verändert."

Foto: privat

2011 erhielt die Professorin und Förderin junger Wissenschafterinnen für ihre Leistungen den Wiener Frauenpreis: "Interdisziplinarität, ungewöhnliche Kombinationen von Forschungsgebieten sind in Österreich sehr schwer zu entwickeln. Es hat mich gefreut, dass die Jurorinnen begriffen haben, dass ich für eine Technik stehe, die nicht an den AnwenderInnen vorbei entwickelt wird. Ich hatte das Gefühl, dass mein Fachgebiet verstanden wurde."

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dieStandard.at: Sie sind seit Ende September 2011 in Pension - vermissen Sie Ihre Arbeit als Professorin für Informatik an der TU Wien?
Ina Wagner: Ich bin 65 geworden und die Emeritierung wird, wenn man nicht von früher ein Anrecht darauf hat, jetzt aus Spargründen nicht mehr gewährt. Aber ich bin nicht unglücklich, denn ich habe ja noch eine Professur in Oslo und eine Associate Professorship in Sydney. Ich lebe jetzt ein bisschen stressfreier, das ist auch ganz fein.

dieStandard.at: Wie würden Sie Ihr Fachgebiet Multidisziplinäres Systemdesign beschreiben?
Ina Wagner: Ich beschäftige mich seit Jahrzehnten mit Arbeit und Technik. Mich interessiert, wie man bessere Technologien entwickeln kann, die die Arbeit unterstützen und den Menschen zusätzliche Ressourcen bieten. Ich habe in meinen Projekten immer Prototypen entwickelt und das mithilfe von partizipativen Methoden, die zukünftige Anwenderinnen und Anwender von Beginn an involvieren. Die BenutzerInnen sind quasi als Co-Designer in die Projekte eingebunden. Dabei bediene ich mich ethnographischer Forschungsmethoden, weil, wie ich finde, nur das angemessen ist, um die Komplexität von Arbeit zu verstehen.

Ich habe mich auch mit Technik im Gesundheitsbereich beschäftigt, aber da gab es in Österreich immer ein Zugangsproblem. Wie haben es hier nie geschafft, einen Rahmen zu finden, in dem wir partizipativ entwickeln konnten. Mit dem neueren Bereich der Home-Care-Technologien wird das vielleicht leichter sein.

dieStandard.at: Welche Projekte haben Sie konkret betreut?
Ina Wagner: Vor allem europäische Projekte in den Bereichen Architektur und Stadtplanung, zuletzt etwa "Integrated Project City". Da haben wir ein Tool für die kollaborative Stadtplanung entwickelt und in Wien zum Beispiel mit der Gebietsbetreuung in Ottakring zusammengearbeitet.

dieStandard.at: Sie haben in Physik promoviert. Hatten Sie schon immer den Wunsch, technisch-naturwissenschaftlich zu arbeiten?
Ina Wagner: Mein Vater war mir ein großes Vorbild, für eine Frau meiner Generation nicht untypisch. Er war Maschinenbauer und hat sich riesig gefreut, dass seine Tochter Physik studiert. Dabei war ich in der Schule gar nicht so gut in Physik, aber ich hab mir das einfach eingebildet.
Mein Vater hat mich auch zum Thema Arbeit gebracht: Er hat damals Pressen für große Automobilwerke gebaut und ich war schon als Schülerin bei VW, Opel und Ford und habe dort die großen Fertigungsstraßen gesehen. Das hat mich sehr fasziniert.

dieStandard.at: Wie sind Sie dann von der Physik in die Informatik gerutscht?
Ina Wagner: Ich habe schon während des Studiums einen Weg hinaus aus der reinen Physik gesucht. Als Alt-68erin haben mich historische und sozialwissenschaftliche Zugänge zu meinem Fach interessiert. Ich hatte deshalb auch ein Studium Irregulare geführt, mit Nebenfach Pädagogik, in Kernphysik dissertiert, und viel Philosophie und Erkenntnistheorie gelesen. Die Arbeitskreise, in denen ich war, haben meinen Hang zur Interdisziplinarität sehr unterstützt. Wir haben ja Arbeitskreise zu allem gehabt!

In die Informatik bin ich dann durch Frauenprojekte gekommen, bei denen ich mich sehr mit Computersystemen beschäftigte. Die Frauenabteilung des Sozialministeriums hat mir damals drei Frauenforschungsprojekte zugeteilt: Mädchen in nichttraditionellen Lehrberufen, Frauenarbeit im automatisierten Büro - eine der weltweit ersten Studien zur Büroautomation - und eines zu Frauen in ungelernten Berufen. Ich habe 35 Jahre lang Frauenarbeitsplätze untersucht - das wäre ein interessantes Buchprojekt.

dieStandard.at: Sie waren auch die erste Frau an der TU, die sich mit Frauenforschung beschäftigte und haben sehr viel für Frauen in den Naturwissenschaften mobilisiert und publiziert ...
Ina Wagner: Das mache ich auch heute noch sehr gerne. Als ich Physik studiert habe, war ich eine der wenigen Frauen, die ein Doktorat angestrebt haben, die anderen haben Lehramt gemacht. Durch meine Publikationen zu den Frauenprojekten des Sozialministeriums und zu feministischen Positionen in den Naturwissenschaften bin ich zu meinen ersten internationalen Konferenzen gekommen, etwa "Women, Work and Technology". Ohne die dort geknüpften Kontakte hätte ich alleine den Forschungsschwerpunkt gar nicht etablieren können. In meinem Bereich hat es kaum Frauen gegeben, die aus den Naturwissenschaften kamen und sich mit feministischen Positionen auseinandersetzten. Das hat sich bis heute sehr verändert.

dieStandard.at: Wie haben Sie als Frau Ihren Arbeitsalltag an der TU erlebt?
Ina Wagner: Ich war die erste Professorin in der Informatik, die von außen berufen war, außer mir gab es noch eine interne Mathematikerin. Danach hat es zehn Jahre gedauert, bis die dritte Professorin kam. Ich habe es an der TU in den ersten Jahren sehr schwer gehabt - ich kann nicht sagen, ob es daran lag, dass ich eine Frau bin oder daran, dass ich immer politisch engagiert war oder weil ich eine Art habe, interdisziplinär zu arbeiten, die der Technik sehr fremd ist. Die Verbindung von Technik mit Sozialwissenschaft, Design und Kunst, kombiniert mit Frauenthemen, das war sehr ungewöhnlich. Ich habe so absurde Dinge gehört wie "Die Soziologie übernimmt jetzt die TU".

dieStandard.at: Wie haben Sie es geschafft, sich davon nicht aus dem Konzept bringen zu lassen?
Ina Wagner: Ich hatte eine Professur - dadurch hatte ich auch eine gewisse Machtposition. Niemand konnte mich daran hindern, dass ich Diplomarbeiten und Dissertationen interdisziplinärer Natur vergebe. Das hat natürlich geholfen. Ich war aber auch einfach stur, habe mir Dinge vorgenommen, die ich für richtig und wichtig hielt, habe mich nicht beirren lassen und mir meine eigene Gruppe aufgebaut.

Obwohl ich schon eine Full Professorship hatte, habe ich auch ein zweites Mal habilitiert, um auf dem Fachgebiet anerkannt zu werden - aber ich habe mich geweigert, einen Vortrag zu halten, weil ich befunden habe, dass ich das nach so vielen Gastvorträgen nicht mehr nötig habe. Das hat in Fachkreisen für viel Aufregung gesorgt.

Natürlich zählen auch außerordentliche Leistungen; wenn man viele gute Publikationen hat, hat man es leichter. Ich habe mit Peer Groups gearbeitet, aber mich wenig auf Beziehungen verlassen. Dadurch gewinnt man eine gewisse Unabhängigkeit, die sehr wichtig ist, um sich wissenschaftlich weiterzuentwickeln. Die Unabhängigkeit und das tun zu können, was ich möchte, war für mich entscheidend, um den Druck auszuhalten.

dieStandard.at: Sie waren auch einige Jahre in Ausschüssen für Gleichbehandlungsfragen tätig. Was haben Sie in dieser Zeit mitbewegt?
Ina Wagner: Als die Gleichbehandlungsgesetzgebung kam, habe ich mit einigen Frauen den Gleichbehandlungskreis an der TU Wien aufgebaut. Gleichzeitig gab es auch einen Gleichbehandlungskreis im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, deren Vorsitzende ich zwei Jahre war. In dieser Zeit habe ich gemeinsam mit Silvia Ulrich den ersten Frauenförderplan geschrieben.

Mir persönlich war damals vor allem wichtig, mehr Frauen in leitende Positionen an den Unis zu bringen. Ohne die Gleichbehandlungsarbeitskreise wäre das, zumindest auf der Wiener TU, nie gelungen. Jede einzelne Frau, die wir damals in eine Professorinnenposition gebracht haben, war ein riesiger Kampf. Es ging auch darum, auf die Arbeitsbedingungen und Karrieremöglichkeiten von Assistentinnen aufmerksam zu machen, zu schauen, dass deren Arbeitsumfeld einer Karriere förderlich ist. Das war nicht selbstverständlich, weil Assistentinnen speziell in dieser Zeit sehr viel Zuarbeit leisten mussten und nicht dasselbe Mentoring erhalten haben wie ihre männlichen Kollegen.

Ich habe auch selbst mit sehr großem Vergnügen als Mentorin Gruppen betreut. In der Informatik an der TU Wien wird heute sehr viel auf Gleichbehandlung gedrängt, leider gibt es aber für sehr spezialisierte Fachgebiete nicht immer genug qualifizierte Frauen, die sich für die offenen Stellen melden. Sie haben in anderen Ländern wie Skandinavien und in der Privatwirtschaft bessere Arbeitsbedingungen.

dieStandard.at: Sie haben als Professorin Forschungsprojekte in Millionenhöhe akquiriert ...
Ina Wagner: Ich war eine der ersten Professorinnen, die mit EU-Projekten begonnen hat und habe sehr viele an Land gezogen, um in den Bereichen forschen zu können, die mir Spaß machen, aber auch, um jungen Leuten, besonders jungen Frauen, Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Ich habe mir immer MitarbeiterInnen gesucht, die sehr selbstständig sind und damit sehr viel Zeit für die Forschung gehabt, dabei aber auch nie erwartet, dass mich meine MitarbeiterInnen in der Lehre unterstützen. Lehre, Forschung und Akquisition alleine zu machen, ist aber natürlich eine hohe Anforderung.

dieStandard.at: Blieb da noch Zeit für Privatleben?
Ina Wagner: Ich habe neben meiner Arbeit auch zwei Kinder großgezogen, die mittlerweile längst erwachsen sind. Wenn man Kinder und eine konzentrierte Berufskarriere hat, lernt man, glaube ich, mit der Zeit sehr gut umzugehen. Es ärgert mich, wenn gesagt wird, WissenschafterInnen hätten eine 60- bis 70-Stunden-Arbeitswoche, weil es anders nicht geht. Das glaube ich nicht. Man muss lernen, zu Dingen Nein sagen zu können, was an Instituten, wo man viel zuarbeiten muss, zugegebenermaßen nicht einfach ist. Es gehört also auch Glück dazu.

dieStandard.at: Sie haben im November 2011 den Wiener Frauenpreis in Anerkennung Ihrer Leistungen verliehen bekommen - was bedeutet Ihnen dieser?
Ina Wagner: Ich habe mich sehr darüber gefreut, weil ich ein sehr marginalisiertes Forschungsgebiet vertrete, für das es in der Öffentlichkeit nicht unbedingt viel Verständnis oder Interesse gibt und das in Österreich sonst so gut wie niemand macht. Interdisziplinarität, ungewöhnliche Kombinationen von Forschungsgebieten sind in Österreich sehr schwer zu entwickeln. Es hat mich gefreut, dass die Jurorinnen begriffen haben, dass ich für eine Technik stehe, die nicht an den AnwenderInnen vorbei entwickelt wird. Ich hatte das Gefühl, dass mein Fachgebiet verstanden wurde.

dieStandard.at: Wird Ihre Arbeit an der TU auch ohne Sie fortgeführt und weiterentwickelt?
Ina Wagner: Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen die Arbeit weiter und es gibt noch eine Professorin. Aber es fehlt halt jetzt eine zweite Professur, und vor allem die Breite des Wissens, die beim interdisziplinären Arbeiten so wichtig ist. Es dauert halt, bis man die erworben hat. Meine Stelle wird im Moment sicher nicht nachbesetzt, weil die TU wie viele Unis derzeit kein Geld hat. Und meine Professur ist halt in einer rein technischen Fakultät immer schon sehr marginalisiert gewesen. Schade - aber so ist es.

dieStandard.at: Sie hätten also gerne weitergemacht?
Ina Wagner: Das ist jetzt eine Gretchenfrage ... ich mache weiter, aber ich stehe jetzt nicht mehr unter dem Druck, so viele Projekte akquirieren zu müssen. Hätte ich emeritieren können, wäre ich aber wahrscheinlich doch geblieben. (Isabella Lechner/dieStandard.at, 15.1.2012)