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Bei diesem Lawinenunglück Ende vergan-genen Jahres in den Stubaier Alpen konnten Skitourengeher drei verschüttete Kameraden bergen

Foto: APA/ÖAMTC

Salzburg - "Die Anzahl der Skitourengeher steigt und steigt, sie ist um ein Vielfaches höher als 1955", sagt Thomas Wiesinger vom Institut für Alpine Naturgefahren an der Universität für Bodenkultur in Wien. Je nach Schätzung gibt es in Österreich 350.000 bis 650.000 aktive Skitourengeher. Trotzdem ist die Zahl der Lawinentoten über Jahrzehnte hinweg konstant.

Verblüffend wäre aber, sagte Wiesinger im Rahmen eines von der Uni Salzburg und dem Salzburger Lawinenwarndienst Ende vergangener Woche veranstalteten Lawinenkolloquiums, dass die Zahl der Lawinentoten mit rund 25 pro Jahr "über Jahrzehnte" gleichgeblieben sei.

"Restrisiko"

"25 Lawinentote werden gesellschaftlich als Restrisiko akzeptiert", lautet die Schlussfolgerung Wiesingers. Auch die Schweiz, Frankreich und Italien hätten im langjährigen Mittel je 25 Lawinentote. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass die Zahl der Lawinentoten erst dann gesenkt werden könne, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz für dieses Restrisiko sinke, meint Wiesinger.

Eine Vervielfachung der Aktiven bei gleichbleibender Anzahl tödlich Verunglückter bedeutet freilich auch, dass der Tourensport sicherer geworden ist. Neben der verbesserten Sicherheitsausrüstung wie dem als "Piepserl" bekannten Lawinenverschüttetensuchgerät, speziellen Schaufeln und zerlegbaren Sonden sowie dem Lawinenairbag kommt dem Lawinenlagebericht zentrale Bedeutung zu; vor allem, seit er via Internet für jedermann verfügbar ist.

Seit 1993 gibt es eine gesamteuropäische, fünfteilige Gefahrenstufenskala. Ein gewaltiger Fortschritt, wie der Leiter des Salzburger Lawinenwarndienstes Bernd Niedermoser im STANDARD-Gespräch sagt. Wobei Niedermoser in der Kommunikation der einheitlichen Standards noch gewaltige Defizite ortet. Viele Lageberichte wären nur in der jeweiligen Landessprache abgefasst und damit für Touristen oft unbrauchbar. Auch in Österreich würden die meisten Bundesländer ihre Berichte nur in Deutsch und nicht in Englisch anbieten.

Föderales Wirrwarr 

Einheitlichen Standards abträglich ist auch die föderale Organisation der sieben österreichischen Warndienste. Während der Wetterdienst, die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, als Bundessache beim Wissenschaftsministerium angesiedelt ist, sind die Lawinenexperten den Bundesländer zugeordnet.

So gibt es nicht nur sieben verschieden gestaltete Internetauftritte, sondern abgesehen vom Internet recht unterschiedliche Transportmedien für den Lawinenbericht. Die Kärntner etwa probieren derzeit die Verbreitung via Twitter, die Salzburger wiederum setzen auf ein Smartphone-App.

Die Salzburger haben mit dem Netzportal "Auf Touren" zudem die Möglichkeit geschaffen, dass User ihre Erfahrungen im Gelände anderen Skitouristen mitteilen. Mit Erfolg: Insgesamt sind in der Datenbank bis dato rund 8000 Skitouren und mehr als 40.000 Bilder abrufbar.

Länderweise unterschiedlich ist auch die Ausstattung mit Ressourcen, kritisiert Niedermoser und nimmt damit direkt Bezug auf die von Naturgefahrenforscher Wiesinger genannte Akzeptanz einer gewissen Zahl von Lawinentoten: "Oberösterreich, Kärnten und Vorarlberg haben Mitarbeiter, die im Winter allein oder maximal zu zweit arbeiten." An den Ressourcen scheitere derzeit auch eines der wichtigsten Projekte der Lawinenwarndienste, sagt Niedermoser. Man brauche neben den in der Früh ausgegebenen Berichten auch ein Nachmittagsbulletin. Die Tourengeher planten ihre Unternehmungen am Abend, wenn der Bericht in der Früh veröffentlicht werde, stünden die meisten längst am Ski.

Doch selbst kostenneutrale Unfallpräventionsmaßnahmen würden nicht ergriffen: Bei jedem Schulskikurs würden zwar die Fis-Regeln gelehrt, aber Lawinen wären kein Thema. Zumindest eine Stunde sollte man investieren, um den Jugendlichen zu sagen, wo sie sich zum Thema informieren können, fordert Niedermoser. (Thomas Neuhold, DER STANDARD Printausgabe, 16.1.2012)