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"Held des Volkes" und "Führer der Nation" Nursultan Nasarbajew. Seine Partei siegte - nicht überraschend - haushoch bei den Parlamentswahlen.

Foto: REUTERS/Mukhtar Kholdorbekov

Beate Eschment ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen mit Schwerpunkt Kasachstan/Kirgisien. Seit 2008 ist sie Redakteurin der Zentralasien-Analysen.

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Drei Parteien wurden bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Kasachstan ins Parlament gewählt, wo bisher nur die Partei von Präsident Nursultan Nasarbajew das Sagen hattte. Ein misslungener Versuch, das Prestige des zentralasiatischen Staates zu verbessern, meint Kasachstan-Expertin Beate Eschment von der Uni Bremen, denn auch die zusätzlichen Parteien wären keine Opposition zu Nasarbajew. Dieser hat zwar nicht mit einer Gefährdung seiner Macht zu kämpfen, aber damit, dass ihm sein Nachfolger kürzlich abhanden kam. Und mit Gerüchten über seine Krebserkrankung.

derStandard.at: Bei der Parlamentswahl in Kasachstan hat die Partei des autoritären Präsidenten Nursultan Nasarbajew 80,74 Prozent der Stimmen zugesprochen bekommen. Was sind die Kritikpunkte der OSZE zum Wahlverlauf?

Eschment: Die OSZE hat die Wahlen als nicht ihren Prinzipien für demokratische Wahlen entsprechend klassifiziert. Das bezieht sich vor allem darauf, dass eine bereits zugelassene Partei rückwirkend von der Wahl ausgeschlossen wurde genauso wie einige aussichtsreiche Oppositionskandidaten vor einigen Tagen ausgeschlossen wurden. Das Wahlgesetz hat Mängel, es hat auch am Wahltag ein paar Probleme gegeben, aber das ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass insgesamt die Opposition behindert wurde.

derStandard.at: Neben der Regierungspartei Nur Otan schafften erstmals zwei andere Parteien den Einzug ins Parlament. Ein Schritt Richtung Demokratie, wie es die Staatsführung bezeichnet?

Eschment: Nein, natürlich nicht. Das Ergebnis ist insofern überraschend, dass nun drei Parteien im Parlament sind. Alle hatten erwartet, dass die staatstreue Wirtschaftspartei Ak Schol als zweite Partei ins Parlament kommt. Ak Schol war ursprünglich sogar eine "richtige" Oppositionspartei, bis sie von einem Zugehörigen des Netzwerkes Nasarbarjew übernommen wurde. Die Partei ist sozusagen "in Besitz genommen" worden, damit man eine zweite Partei im Parlament aus Prestigegründen vorzeigen kann. Man muss aber auch in Rechnung stellen, dass trotz solcher problematischen Dinge Kasachstan liberaler und demokratischer als seine Nachbarstaaten ist.

derStandard.at: In welchem Zustand ist allgemein die Opposition in Kasachstan?

Eschment: Es gibt eigentlich nur eine echte offiziell registrierte Oppositionspartei, das ist die Sozialdemokratische Partei. Die Opposition als solches ist aber extrem schwach und untereinander zerstritten und man fragt sich, warum der Staat so viel Energie darin verwendet, gegen die Opposition vorzugehen. Es gibt noch einige Leute im Exil, denen Einfluss zugesprochen wird. Auch wenn die Bevölkerung unzufrieden mit ihrer Situation ist, nützt das der Opposition nicht, das konnte man auch gerade jetzt wieder sehen. Nicht einmal nach der Niederschlagung der Proteste in der Erdölstadt Schanaosen Mitte Dezember konnten die Menschen dazu motivieren werden, sich öffentlich kritisch zu äußern. Es hat in ein zwei Provinzstädten und Almaty kleinere Demonstrationen gegeben, und das war es. Ich sehe keine akute Gefahr, dass es zu Unruhen kommt. Für kasachische Verhältnisse ist die Wahlbeteiligung mit 70 Prozent aber relativ niedrig. Das kann auch als Unmutsäußerung gedeutet werden.

derStandard.at: Ein Umsturz wie 2010 in Kirgistan kann also in Kasachstan ausgeschlossen werden?

Eschment: In den letzten Jahren konnte man langsam und in den letzten Wochen massiv sehen, dass Nasarbajew nicht mehr "der" superstarke Mann ist, der alles unter Kontrolle hat. Von einem Umsturz ist aber noch keine Rede. Ich sehe in Kasachstan wie gesagt nicht das Potenzial, dass sich die Bevölkerung aktivieren lässt. Kasachstan ist außerdem das Land mit den besten Wirtschaftsdaten Zentralasiens. Von daher gab es für die städtische Mittelschicht immer die Option des Aufstiegs und das wirkt sehr kalmierend. Die Vorgänge in der politischen Elite sind von Außen aber schwer einzuschätzen...

derStandard.at: Nasarbajew hat ja auch nach der Niederschlagung der Ölproteste sehr geschickt kalmiert, hat nicht nur den Chef von Kasmunaigas, sondern sogar seinen eigenen Schwiegersohn entlassen.

Eschment: Ja, es werden Sündenböcke gesucht. Dass er seinen Schwiegersohn Timur Kulibajew entlassen hat, war allerdings für alle überraschend. Denn er galt als sein potenzieller Nachfolger. Dass Nasarbajew geschickt vorgegangen ist, würde ich allerdings nicht sagen, eher überstürzt – nachdem er und seine Regierung die Streiks den ganzen Sommer ignoriert hatten, mussten jetzt umso größere Zugeständnisse gemacht werden.

derStandard.at: Nasarbajew ist Jahrgang 1940, Gerüchte über eine Krebserkrankung kursieren. Was oder wer kommt nach ihm?

Eschment: Bis vor vier Wochen wäre die Antwort auf diese Frage Timur Kulibajew gewesen. Es gab diverse Gerüchte, dass er am 16. Dezember, dem Unabhängigkeitstag, der aber dann mit der Niederschlagung der Proteste zusammen fiel, als Nasarbajews Nachfolger präsentiert hätte werden sollen. Das System in
Kasachstan ist auf einen Mann zugeschnitten, wer nach Nasarbajew übernehmen wird, interessiert in Kasachstan sicher mehr als das Ergebnis der Parlamentswahlen oder wie viele Parteien im Parlament sind. Die Tochter des Präsidenten hat jüngst angekündigt, wieder in die Politik gehen zu wollen.

Und was seine Krankheit betrifft: In der Oppositionspresse wurden Gerüchte geschürt, dass die Wahlen deshalb vorgezogen wurden, weil Nasarbajew nach seinem Staatsbesuch in einigen Tagen in Deutschland zur Behandlung einer Krebserkrankung im Land bleiben will. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Zumindest halten sich die Gerüchte, dass er krank ist, sehr hartnäckig. (mhe, derStandard.at, 16.1.2011)