Die Griechen stehen vor der Pleite, wieder einmal. Sehr viel besser wäre es gewesen, die Griechen hätten schon vor zwei Jahren den Bankrott erklärt, findet Gewerkschafter und Ökonom Sotiris Kontogiannis im derStandard.at-Interview. Warum die Griechen nicht aufhören zu streiken, wie seiner Ansicht nach die Chancen auf weitere Milliardenhilfen stehen und warum die Armen lieber als die Reichen der Eurozone den Rücken kehren würden.
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derStandard.at: Ministerpräsident Lucas Papademos hat zu Jahresbeginn noch einmal eindringlich vor einer "unkontrollierbaren Staatspleite" gewarnt und die Gewerkschaften zu mehr Sparanstrengungen aufgefordert. Wäre eine Staatspleite oder ein Euro-Austritt besser gewesen?
Sotiris Kontogiannis: Es wäre besser gewesen, wenn Griechenland schon vor zwei Jahren die Staatspleite erklärt hätte und aus der Eurozone ausgetreten wäre. Schon damals haben Ökonomen gemeint, die Schuldenlast abzutragen wäre unmöglich und ungerecht für das griechische Volk. Die Mehrheit der Menschen hat vom Weiterwursteln nicht profitiert.
derStandard.at: Vor zwei Jahren herrschte allerdings die überwiegende Meinung, dass Griechenland aus dem Sumpf kommen könnte.
Kontogiannis: Man hatte zu dieser Zeit die Gefahr für die Wirtschaft in der Europäischen Union im Auge. Deswegen hat die Union die Pleite bis jetzt verhindert. Die Banken sind die, die am meisten von den Schulden profitiert haben, überall auf der Welt.
derStandard.at: Gerade eben laufen wieder Verhandlungen mit den Geldgebern und Griechenland zittert wieder einmal um Milliardenhilfen. Wird das Geld genehmigt werden?
Kontogiannis: Man hat versucht Griechenland zu retten, damit die Krise nicht nach Italien überschwappt. Das ist trotzdem passiert. Jetzt soll Griechenland 89 Milliarden Euro bekommen, eine riesige Summe. Ob die Geldgeber Griechenland das Geld geben, ist noch offen. Ich glaube, das hängt sehr, sehr wenig von Griechenland ab. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit 50:50 ein.
derStandard.at: Aber zum Sparen gibt es so oder so keine Alternativen oder?
Kontogiannis: Ich bin Sozialist. Gerade kein sehr positiv behaftetes Wort, weil die Leute damit den realen Sozialismus verbinden - ein schreckliches Regime. Und die Leute haben auch die Sozialdemokratie erlebt. Das war auch nicht viel besser. Was ich mit Sozialismus meine: Wir sollten auch in der Wirtschaft Demokratie haben. Wir können den Ministerpräsident wählen. Aber wir können den Boss in der Firma nicht wählen. Wir können - zumindest formal - entscheiden, welche Politik der Staat macht, aber wir können nicht entscheiden, was und in welcher Qualität und Quantität eine Firma produziert. Das wird über die unsichtbare Hand des Marktes entschieden.
derStandard.at: Aber wie auch sonst? Eine Firma muss ja ökonomisch überleben? Und wenn Sie das Thema Privatisierung anschneiden, der Staat ist ja nicht unbedingt der bessere Unternehmer.
Kontogiannis: In Griechenland gibt es heute ungefähr 430 große Konzerne. Zwei davon sind derzeit besetzt. In einer Stahlfirma wird gestreikt, weil die Leute entlassen möchten. Dann gibt es noch eine Fernsehfirma mit 700 Mitarbeitern, die pleite ist. Dort machen die Leute jetzt ihr eigenes Programm. Die Frage ist nicht, ob staatlich oder nicht. Es geht darum: Wie bestimmt man, was produziert wird, wie viel und wo. Das wird über die Profite bestimmt. Es heißt in der Theorie, der Markt ist ein Link, der zusammenbringt, was die Leute brauchen und was produziert wird. Aber das funktioniert nicht. Die Theorie sagt, wenn die Gesellschaft etwas braucht, dann steigen die Preise und damit auch die Profite. Die Leute, die bestimmen was produziert wird, fangen an, mehr von ihren Produkten herzustellen und umgekehrt weniger, wenn weniger nachgefragt wird. Die Leute verzichten auf den Konsum aber auch, weil sie ganz einfach kein Geld dafür haben. In Griechenland kaufen die Leute zum Beispiel um zehn Prozent weniger Nahrungsmittel. Nicht weil sie sie nicht brauchen, sondern weil sie sich es nicht leisten können. Die Signale des Marktes sind also gestört. Man bräuchte ein ganz anderes Modell. Eines wo die Leute, die die Produkte brauchen, direkt entscheiden können, was wirklich produziert wird. Ohne dass die gesamten Prozesse über den Markt und die Profite gehen.
derStandard.at: Das klingt ganz schön illusorisch...
Kontogiannis: Dafür gibt es auch keine Vorbilder. Vielleicht hatten wir etwas Ähnliches zwei Jahre nach der russischen Revolution. Das was man Sozialismus oder Kommunismus nennt sind keine Beispiele.
derStandard.at: Die Profiteure unseres Wirtschaftssystems werden sich aber nicht gerne von dem Modell verabschieden.
Kontogiannis: Das ist wahr. Andrerseits gibt es in Griechenland viele arme Leute, die meinen, man sollte Griechenland für bankrott erklären und aus der Eurozone rausgehen. Die Besitzer der 430 großen Firmen sagen das nicht. Kein einziger der Reichen in Griechenland will aus der Eurozone austreten.
derStandard.at: McKinsey hat gerade errechnet, dass auch Griechenland vom Euro-Beitritt mit einem winzigen Wohlstandsgewinn profitiert hat.
Kontogiannis: Für Griechenland war der Euro auch wichtig. Man sagt, in Griechenland mangelt es an Produktivität. Aber das ist nicht wahr. Von 2002 bis 2008 hatten wir in Griechenland ein kleines Wirtschaftswunder. Die Wirtschaft ist dreimal so stark gewachsen wie in Italien oder Deutschland oder Österreich. Damals hat keiner von irgendeinem Mangel geredet. Aus der ganzen Welt kam das Geld nach Griechenland, um in dieses Wunder zu investieren. Aber dieses Wirtschaftswunder war auf der Ausbeutung von Balkanstaaten gebaut. Die griechischen Banken haben damals in großem Stil in Bulgarien, Mazedonien, Albanien eingekauft und das zu einem sehr günstigen Preis. Es gibt griechische Firmen in all diesen Ländern und Abteilungen der Banken. Das wäre ohne den Euro nicht machbar gewesen.
derStandard.at: Und jetzt?
Kontogiannis: Griechenland ist die Spitze eines Eisberges. Die Krise geht weiter. Erwartet wird, dass die Wirtschaft weltweit abstürzt. Dann wird es viele Griechenlands geben.
derStandard.at: Durch die konzertierten Sparprogramme?
Kontogiannis: Das Wachstum auf der ganzen Welt ist abgefallen. Das ist genau so, wie es auch in den 1930er Jahren passiert ist. Damals hat man dasselbe versucht: Sparprogramme. Das hat zu nichts geführt. Dann hat man sich der Ideen von Keynes bedient. Wir hatten den New Deal in den USA. Auch das hat zu nichts geführt. Wir sind nicht durch den New Deal aus der Krise gekommen, sondern durch die Katastrophe des Krieges. Vielleicht ist Griechenland das erste Beispiel der Katastrophe, aber wenn es so weiter geht, nicht das letzte.
derStandard.at: Das klingt sehr pessimistisch.
Kontogiannis: Es würde sehr pessimistisch sein, würde es den Widerstand nicht geben. Wir haben in Griechenland sehr großen Widerstand und das ist sehr wichtig.
derStandard.at: Haben Sie nicht Angst, dass der Schaden der Streiks größer ist als der Nutzen? Was soll am Ende herauskommen?
Kontogiannis: Abstrakt gesagt: Sozialismus. Hier versucht man den Kern der Wirtschaft - die Firmen - zu retten, aber nicht die Menschen. Es geht um das Überleben der Elite. Der Widerstand kehrt das um. Die Regierung von Papandreou ist immerhin gestürzt worden.
derStandard.at: Und jetzt haben Sie Papandemos. Ist er besser?
Kontogiannis: Das ist noch viel schlimmer. Die Menschen hassen Papademos (Anm.: derzeitiger griechischer Premierminister). Erstens ist es eine Regierung, wo die Sozialdemokraten mit der rechten Partei zusammenarbeiten und da auch mit der extremen Rechten. Der Vorsitzende dieser Regierung ist ein Banker. Das wollten die Leute nicht. Es wird weiter gehen, wieder Widerstand geben. Die Frage ist ganz einfach: Wer wird für die Krise zahlen? Das Problem ist nicht nur, dass die Löhne kleiner werden, kleine Firmen Pleite gehen - eine nach der anderen. Es gibt Leute, die haben für fünf, sechs Monate keinen Lohn bekommen. Die Elite versucht sich über Wasser zu halten. Das sollte anders sein.
derStandard.at: Aber viele Revolutionen sind gescheitert.
Kontogiannis: Das heißt nicht, dass jede Revolution besiegt wird. Ich bin übrigens optimistisch. Würden wir die Lösung der Krise in den Händen derer lassen, die sie verursacht haben, dann würde es schlimmer sein. Doch wir versuchen, das Ruder herumzureißen. Ich glaube, wir haben gute Chancen, es zu schaffen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 17.1.2012)