Antje Schütt, Gründerin von bewerbersicht.com

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Die Struktur des Portals. Firmen können ohne Registrierung bewertet werden.

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"Es kam einfach gar nichts retour." Antje Schütt ärgert sich noch heute, wenn sie an ihre "extrem starke Bewerbungsphase" von vor zweieinhalb Jahren zurückdenkt. Die Reaktionen blieben nämlich aus: "Weder der Hinweis, dass sie die Bewerbung erhalten hatten, noch eine Absage wurde verschickt." Schütt war damals auf Jobsuche, der Frust ihr ständiger Begleiter. "Der Umgang war katastrophal", schildert sie im Gespräch mit derStandard.at. Aus dieser Ignoranz von Firmen will sie jetzt Kapital schlagen - und nebenbei den Bewerberprozess verbessern. Die 27-Jährige tüftelt seit gut zwei Jahren an bewerbersicht.com. Einem Portal, das seit Herbst als Betaversion am Start ist und auf dem Bewerbungsprozesse kanalisiert werden sollen. Positive und negative.

Firmensitz in London

Sofern es die Zeit erlaubt, ist die zweifache Mutter rund um die Uhr am Optimieren. "Am Tag meiner Entbindung vom ersten Kind bin ich noch mit dem Laptop im Krankenhaus gesessen", erzählt sie vom Entstehungsprozess der Plattform. Ihr Herzensprojekt: "Mit jeder Woche, mit jeder Idee, mit jeder Arbeitsstunde ist es mehr dazu geworden." Um die Hürde namens "Verwaltungsaufwand" schneller zu nehmen, hat Schütt ihr Unternehmen in England angemeldet. Es heißt "TheCore4U" und liegt bewerbersicht.com zugrunde. Der Firmensitz ist also in London, ihr Wohnsitz befindet sich in Graz.

Kostenloses Service

Damit sich das Portal von der Riege der Firmenbewertungsplattformen wie Kununu abhebt, verfügt es über Alleinstellungsmerkmale, wie Schütt betont. Neben der Möglichkeit, Betriebe anhand des eigenen Bewerbungsprozesses zu beurteilen, und einem Firmenranking gibt es noch weitere Assets. Beim sogenannten "Blitzcheck" erhalten User anhand von drei zu beantwortenden Fragen einen ersten Überblick über ihre Situation als Bewerber. "Viele Leute haben nicht vor Augen, wo sie eigentlich stehen." Registriert man sich - alle Services sind kostenlos -, dann erhält man tiefergehende Daten, die als "Handlungsempfehlungen" bezeichnet werden. Zum Beispiel? "Welche Region wirtschaftlich interessant ist, in welcher Branche die Chancen gut stehen, Links zu bestimmten Themen oder Analysen", sagt Schütt.

Daten, Daten, Daten

Als Basis für die Auswertung dienen vorerst Daten, die die Initiatorin über Eurostat, die Wirtschaftskammer, von Verbänden etc. bekommt. In weiterer Folge, und das soll der Kern sein, wird die Datenbank mit den Angaben der User gefüttert. Etwa wie lange sie für ihre Ausbildung gebraucht haben oder welches Metier lukrative Jobs bietet. Das Resultat dieser Daten, so der Plan, soll eine Art Landkarte für Bewerber sein, wo Individuelles und Statistisches zu einer Orientierungshilfe für alle verschmilzt. Um aussagekräftige Ergebnisse zu Branchen und Regionen liefern zu können, müssten wohl rund 100.000 Datensätze generiert werden, erläutert Schütt. Und das ist der Knackpunkt, der allerdings noch im Jahr 2012 aus dem Weg geräumt werden soll: "Es ist zwar ein hochambitioniertes Ziel, aber ich investiere jede freie Minute, um es zu erreichen, weil ich selbst davon überzeugt bin."

Kooperationen

Dass sich innerhalb kürzester Zeit so viele User registrieren, sei illusorisch, räumt sie ein. Deswegen sollen Kooperationspartner an Bord geholt werden. Etwa Interessensvertretungen wie die Arbeiterkammer oder Gewerkschaften, denen das Thema am Herzen liegen sollte. Momentan kämpft Schütt noch mit der geringen Bekanntheit des Portals. Ein Problem, mit dem alle Start-Ups konfrontiert seien. Sie ist aber guter Dinge, dass sich das bald ändert, denn schließlich würden auch Unternehmen profitieren. Wie? Wenn zum Beispiel die Arbeiterkammer ihre Mitglieder dazu animiert, bei bewerbersicht.com ihre Bewertungen zu deponieren, dann erhält die Institution im Gegenzug Daten exklusiv zur Verfügung gestellt. Statistiken über Bewerberzufriedenheit oder Firmenrankings könnten auf diese Weise destilliert werden.

Firmen sollen zahlen

Alleine das Tauschgeschäft User gegen Daten ist noch kein Business-Modell. Schütt setzt auf darüber hinausgehende Leistungen, die sie Firmen anbieten will. Etwa Feinanalysen, mit denen der Bewerbungsprozess unter die Lupe genommen werden soll. Wie funktioniert das? "Eine Firma möchte wissen, wie sie mit ihren Bewerbern umgeht. Jobanwärter erhalten einen Code, mit dem sie auf bewerbersicht.com den Prozess bewerten. Die Daten werden zugeordnet, das fließt dann in den Report für die Firma ein", erklärt sie. Das Resultat sei dann eine Statistik. Zum Beispiel, dass von 180 Bewerbern 100 sehr zufrieden waren. Die anderen waren gar nicht zufrieden, weil...

Mit Hilfe solcher Reports ließen sich zukünftige Postenbesetzungen verbessern, ist Schütt sicher und betont, dass laut Studien eine falsch besetzte Stelle Kosten von mindestens 100.000 Euro verursacht. Wichtig ist der Gründerin dabei das Thema Datenschutz: "Die Darstellung ist in den Reports komplett anonymisiert." Unternehmen könnten in keinem Fall Rückschlüsse auf die Bewerber ziehen.

Keine Investorensuche

Mit bewerbersicht.com will Schütt von Graz aus den gesamten deutschsprachigen Raum erobern. Vorerst, denn: "Der Rest ist Zukunftsmusik." Gelingen soll das mit dem komprimierten Überblick, den das Start-Up bietet. "Das I-Tüpfelchen hinter all den Bewerberforen, das wollen wir sein. Die Daten, die Statistiken, die man nutzen kann."
Wie hoch die Investitionskosten bis dato waren, kann die 27-Jährige nicht sagen. Nur so viel: "Die dürften irgendwo im fünfstelligen Bereich liegen." Auf Investorensuche ist sie aber nicht: "Ich bin nicht bereit, die Idee zu teilen." Profitieren sollen schließlich die Bewerber, denn die, glaubt Schütt, werden in Zukunft die Macht haben. Sie prognostiziert eine Verschiebung zugunsten der Arbeitnehmer. Positionieren sich Firmen nicht als attraktive Arbeitgebermarken, werden sie im Rennen um die besten Köpfe das Nachsehen haben.

Daten als Gradmesser

"Aufgegeben wird nur ein Brief", sagt Schütt auf die Frage, ob es eine Deadline gibt, bis wann sich ihre Investitionen amortisieren müssen. "Realistisch gesehen werde ich bis Ende nächsten Jahres sehen, ob genügend Daten drinnen sind." Sollte das nicht der Fall sein, müsste sie ihr Projekt begraben. Durchhaltevermögen und Mut für Neues gehören zu ihren Charaktereigenschaften. Schütt ging mit 16 von Zuhause weg, versuchte sich als Tänzerin und landete schließlich in der Wirtschaft. Ein paar Jahre später stehen zwei Masterabschlüsse und ein Bachelor beim Namen der Unternehmensberaterin. Über alldem steht ein Ziel: nämlich den "unverschämten Umgang mit Leuten, die qualifiziert und motiviert sind" zu unterbinden: "Ich will nicht die Unternehmen missionieren, sondern den Bewerbern eine Stimme geben." (Oliver Mark, derStandard.at, 17.1.2012)