"Auf dem Sessel da, auf dem ich jetzt sitze, darf ich nicht an meine Klientel als Parteivorsitzender denken": Landeshauptmann Franz Voves fordert eine strikte Rollentrennung in der Politik.

Foto: STANDARD/Kucek

STANDARD: Muss man der Ratingagentur Standard & Poor's dankbar sein, dass sie die österreichische Politik wachgerüttelt hat?

Voves: Es ist mittlerweile wohl allen klar geworden, dass wir uns in Österreich raschest Strukturreformen widmen müssen. Es geht jetzt viel stärker um diese Reformen als um Sparpakete. Wir müssen herausarbeiten, in welchen Bereichen wir uns in den letzten Jahrzehnten zu breit aufgestellt haben. Wir dürfen jetzt keinen Tag verlieren, nichts darf uns mehr abhalten, das umzusetzen. Wir haben das in der Steiermark schon im Herbst 2010 erkannt. Wir werden zum Beispiel die Organisationsstruktur des Landesdienstes halbieren und 700 Beamte über den natürlichen Abgang einsparen. Uns muss aber klar sein, dass Veränderungen in den Strukturen Jahre brauchen, bis sie im Budget wirksam werden. Daher muss im Bund parallel dazu auch auf der Einnahmenseite etwas passieren.

STANDARD: Sie meinen die "Voves-Reichensteuer"?

Voves: Da sich, wie gesagt, die Wirksamkeit von Reformen erst in Jahren im Budget niederschlägt, brauche ich auch einnahmenseitig entsprechende Beiträge zur Budgetkonsolidierung. Der zweite Grund für neue Einnahmen: Ich brauche Verteilungsgerechtigkeit, ich brauche soziale Ausgewogenheit. Menschen, denen es nicht so gut geht, können zu Recht überhaupt nicht verstehen, dass die politischen Fehler von Jahrzehnten, nämlich ständig nur Klientelpolitik zu machen, auf Kosten der sozial Schwächsten gingen. Das kann es nicht sein. Die Vermögen werden bei uns geringer besteuert als in anderen EU-Ländern. Daher muss ich hier einen klaren Schritt setzen. Wir haben auch im Sinne der Gerechtigkeit in der Steiermark eine Nulllohnrunde bei den Landesbediensteten eingeführt.

STANDARD: Ihr Parteikollege, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, sieht das völlig anders. Er lehnt eine Nulllohnrunde ab. Diese sei eine Wachstumsbremse.

Voves: Da liegt er falsch. Ich glaube, dass sich eine einmalige Nulllohnrunde im öffentlichen Dienst in keiner Weise in der Kaufkraft so auswirkt und dass wir davon in der Steiermark keinen wirtschaftlichen Rückgang ableiten müssten. Wir wissen, dass wir in den öffentlichen Strukturen zu viel an Personal angesammelt haben. Dieses Personal ist de facto unkündbar. Und jetzt verlangen wir ein einmaliges Solidarzeichen dieser sicheren Arbeitsplätze.

STANDARD: Sie sind nun Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz. Könnten Sie da nicht Reformen lautstark einfordern?

Voves: Als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz bist du ausschließlich der Koordinator der Themen, die alle Länder einstimmig gegenüber dem Bund zum Thema machen wollen. Ich habe mich aber nicht vor den ORF-Report hinzustellen, um zu sagen, was ich mir vorstelle. Es geht auch um Atmosphärisches: Zwei Landeschefs sind in der Vergangenheit nicht mehr zu dieser Konferenz gekommen. Das habe ich wieder eingerenkt. In sehr persönlichen Einzelgesprächen mit Michl Häupl und dem Erwin Pröll. Und sehr erfolgreich. Ich versuche lieber, im Hintergrund Dinge zu besprechen und aufzubereiten.

STANDARD: Im Bund wird oft beklagt, die Länder seien die Bremser bei allen Reformen. Sie stellen die Situation anders dar.

Voves: Ich denke, es hat in ganz Österreich in der Politik noch nie so viel Bereitschaft gegeben, wirklich maßgebliche Strukturveränderungen vorzunehmen. Jetzt geht es natürlich darum, dass wir ein föderalistischer Staat sind. Es geht um die große Frage, welche Themen künftig weiterhin Landessache oder Bundesangelegenheit sein sollen. In Wirklichkeit ist doch die Schuldenbremse nur die Selbstfesselung der Politik, nicht mehr in Klientelpolitik zu verfallen. Hätten wir überall nur vernünftige Politiker, die wissen, dass es ein Unterschied ist, ob ich Parteipolitik mache oder Landeshauptmann bin, wäre vieles anders. Auf dem Sessel da, auf dem ich jetzt sitze, darf ich nicht an meine Klientel als Parteivorsitzender denken. Und dieses Unterscheiden ist in unseren Demokratien in ganz Europa zu lange nicht gelungen. Man muss sich fragen: Wie viel Klientelpolitik kann sich Österreich überhaupt leisten, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

STANDARD: Und wie viel Föderalismus kann sich Österreich leisten?

Voves: Auch diese Frage muss man sich stellen. Natürlich hat man Traditionen. Klagenfurter oder Steirer zu sein ist ein Unterschied. Aber man muss jetzt genau wissen, welche Gebietskörperschaften sollten in Zukunft noch welche Aufgaben erfüllen - und mit welchen Zuteilungen aus dem gemeinsamen Steuerkuchen.

STANDARD: Heißt das, es ist für Sie denkbar, dass Kompetenzen der Länder an den Bund wandern?

Voves: Bestimmte Kompetenzen sind vielleicht zu zentralisieren. Aber vielleicht sollte man die, die am ehesten von landespolitischen Verantwortlichen im Sinne der Menschen steuerbar sind, dann auch wirklich in den Ländern belassen. Die ganze Bundesratsdiskussion ist - wie die über die Wehrpflicht - verzichtbar. Denn ich muss mir zuerst bewusst sein, wie die demokratiepolitischen Strukturen in Österreich in Zukunft ausschauen sollen.

STANDARD: Als es darum ging, Kompetenzen der Schulen in den Bund zu verlagern, gaben die Länder eine klare Antwort: Es soll so bleiben, wie es ist.

Voves: Um beim Beispiel der Schulverwaltung zu bleiben: Landesbildungsdirektion oder Bundesbildungsdirektion? Genügt es aus Sicht der Länder, wenn der Bund die gesamten Grundlagen vorgibt, also die Lerninhalte, die Dienstrechte, die Ausbildungsanforderungen der Lehrer usw., und lässt man das rein Vollziehende in den Ländern? Oder brauche ich, so wie es Ministerin Schmied will, auch die Vollziehung in der Hand des Bundes, weil es sonst nicht funktioniert?

STANDARD: Wo stehen Sie da?

Voves: Das weiß ich noch nicht. Aber da finden Gespräche statt. Oder nehmen wir die Gesundheitspolitik. Auch da muss man überlegen: Genügt die jetzige Grundsatzgesetzgebung des Bundes, genügen die Rahmenbedingungen, die er vorgibt und die man in Sachen Bettenzahlen noch mehr vorgeben könnte, und soll die Vollziehung im Land bleiben? Dass wir uns Krankenhäuser an den Landesgrenzen hinbauen mit 20 Kilometer Entfernung zueinander: Da wissen wir ja hoffentlich alle, dass das nicht sinnvoll ist. Und Jugendschutzgesetze oder Baugesetze neunmal? Was man da alles vereinheitlichen könnte! Dann käme man langsam dorthin, wo man schauen kann: Was bleibt noch im Land, in der Bezirkshauptmannschaft und im Bund? Und was hat dann der Bundesrat für eine andere Bedeutung? Das ist nichts, wo der Politiker einfach drübergehen kann. Ich habe in diesen zehn Jahren längst gelernt, dass Betriebswirtschaft etwas anderes ist als Politik. Da geht es um Emotionen. Nicht um finanzwirtschaftliche Ziele.

STANDARD: Trotzdem eine finanztechnische Frage: Wie viel könnte eine Verwaltungsreform in Österreich bringen?

Voves: Also wenn das Land Steiermark an die 100 bis 150 Millionen Euro in der öffentlichen Verwaltung einsparen kann, ohne dass sich das Bürgerservice verschlechtert, dann muss das ja im Bund mindestens das 10- bis 15-Fache sein.

STANDARD: Zurück zu den Emotionen in der Politik. Vergangenen Frühling waren Tausende mit der Plattform 25 wegen Kürzungen im Sozialbereich auf der Straße. Diese Leute haben Angst um ihre Existenz. Haben Sie dazu das persönliche Gespräch genug gesucht?

Voves: Ich war auf dem Weg zum Friseur, da hab ich eine Protestgruppe mit ihrem Sprecher im Rollstuhl getroffen. Ich wurde von ihm angesprochen. Ein hochintelligenter Mensch. Wir haben uns ein Treffen ausgemacht. Jetzt wird dieser Sprecher ein Partner des zuständigen Soziallandesrates Siegfried Schrittwieser. Wir müssen in diesen Fragen stärker auf die Betroffenen eingehen und weniger auf die Träger von Vereinen. Und glauben Sie mir, ich übersehe auch diese Plattform 25 überhaupt nicht. Ich habe für die alle ein Feeling. Ich weiß, was die Vereine, die da dahinterstehen, für Behinderte, Flüchtlinge und andere Menschen tun, auf die sonst niemand schaut. (Walter Müller, Colette Schmidt, DER STANDARD, Printausgabe, 18.1.2012)