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Fischerboote mit den Flaggen Spaniens und Marokkos.

Foto: EPA/ROMAN RIOS

In Brüssel, um dort über den Weg aus der Krise zu beraten? Nein, falsch! In Deutschland, bei Merkel, aus dem gleichen Grund? Auch das ist nicht richtig! Ganz klar, beim atlantischen Bündnispartner. Schließlich haben die USA eine entscheidende Rolle gespielt, als Spanien nach der Franco-Diktatur voll in die westliche Gemeinschaft integriert wurde. Klingt gut, liegt aber leider auch weit daneben.

Der neue, konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy begibt sich nach Rabat, der marokkanischen Hauptstadt, wie es seine Vorgänger auch getan haben. Denn Marokko ist der konfliktive Nachbar im Süden. Rabat erhebt territoriale Ansprüche auf Teile Spaniens. Allen voran auf die beiden spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an Afrikas Nordküste. Und das, obwohl die Garnisonsstädte lange bevor Marokko als solches entstand spanisch wurden. Ceuta gehört seit 1580 zu Spanien und Melilla gar seit 1497. Damit nicht genug. Auch auf die Kanarischen Inseln erhebt Rabat immer wieder Anspruch.

Dass dies nicht nur Sonntagsreden sind, macht das Reich von König Mohamed VI. immer wieder klar. Bei diplomatischen Konflikten mit Madrid kommt es ab und an zu Zwischenfällen an der Grenze zu Ceuta und Melilla. Proteste und Blockaden der Händler, die täglich tonnenweise Produkte nach Marokko schaffen, werden zugelassen. Und das in einem Land, in dem sich nur wenig bewegt, wenn es der König nicht will.

Am 11. Juli 2002 kam es fast zu einem handfesten Konflikt zwischen Marokko und Spanien. Eine Einheit der marokkanischen Polizei besetzte eine kleine, unbewohnte Insel in der Meerenge von Gibraltar. Perejil heißt sie für die Spanier, Laila für die Marokkaner. Die 500 Meter lange und 300 Meter breite Insel ist im Unabhängigkeitsvertrag Marokkos nicht erwähnt. Beide Länder ignorierten den Felsen im Meer, bis eben zu jenem 11. Juli. Spanische Truppen vertrieben sechs Tage später die Polizei Mohameds VI. wieder. Seither ist Perejil oder Laila wieder unbewohnt und ohne Fahne.

Marokko ist ein Land ohne feste Außengrenzen. Zu Algerien hin kennt die offizielle Staatskarte keine Linie. Ein Teil der angrenzenden Wüste sei ebenfalls Marokko, heißt es im offiziellen Diskurs. Im Oktober 1963, kurz nach der Unabhängigkeit Algeriens, drangen marokkanische Truppen weit nach Algerien vor.

Und auch im Süden ist Marokko kriegerisch. Bis zum Senegal-Fluss gehöre alles zum Reich von Mohamed VI. und seiner Dynastie, lautet die offizielle Doktrin. Dass dort die ehemalige spanische Kolonie Westsahara und Mauretanien liegen, stört Marokko nicht.

1975 wurde die Westsahara, halb so groß wie Spanien, besetzt. Proteste werden bis heute mit Waffengewalt und Repression in Schach gehalten. Zwischen 100.000 und 200.000 Flüchtlinge leben seit den 1970er-Jahren in Camps in der algerischen Wüste.

Spanien ließ Marokko damals gewähren. Diktator Franco lag im Sterben. Statt die Kolonie zu verteidigen und die Bevölkerung der Westsahara in einer Volksabstimmung über ihre Zukunft entscheiden zu lassen, zogen sich die Truppen überstürzt zurück.

Freilich versteht es Marokko, die Spanier auch mit den angenehmen Dingen des Lebens für sich einzunehmen. Marokko ist ein wichtiger Handelspartner für Spanien. Und viele Politiker gehen im Reich von Mohamed VI. auch "privat" ein und aus. So verbrachte der abgewählte Sozialist José Luis Rodríguez Zapatero seine Weihnachtsferien in einem Luxushotel in Tanger, gleich neben dem örtlichen Königspalast. 3000 Euro kostet die Familiensuite laut Website des Hotels pro Nacht. Auch seine Außenministerin Trinidad Jiménez verbrachte dort mehrere Sommerurlaube, als sie noch im Amt war.

Der ehemalige Ministerpräsident und Übervater der Sozialisten, Felipe González, baut sich gar eine Villa gleich neben dem Königspalast, direkt am Strand. Eine Million Euro soll sie wert sein. "Hier baut nur, wer die Erlaubnis von König Mohamed VI. hat", wissen die Einheimischen in Tanger zu berichten. (Reiner Wandler, derStandard.at, 18.1.2012)