Schön, aber das wäre noch besser gegangen.
Mark Lanegan erzählt Geschichten, nicht nur, wenn er singt. Sein Gesicht spricht ebenso Bände wie seine Finger und Handrücken. Sie dokumentieren mehr als einen Kontrollverlust, sind Dokumente eines Lebenswandels, der öfter als einmal vorzeitig ein Ende hätte finden können. Günstigerweise hatte der US-amerikanische Sänger ein Einsehen und entsagt seit einigen Jahren erlaubten wie unerlaubten Begräbnisbeschleunigern.
Bedenkt man den 47-Jährigen mit der Allerweltsbezeichnung Sänger, ist das natürlich ein Understatement. Lanegans Stimme ist eine Naturgewalt. Sie besitzt eine Autorität, die waidwunde Zärtlichkeit so authentisch zu vermitteln vermag wie einen Wüstensturm oder Thors Donnergrollen. Früher wurden solch Ausnahmeerscheinungen Kirchen errichtet, heute kriechen wir verbal zu Kreuze, umschmeicheln den seit den 1980ern Musik machenden Mann aus dem Umland von Seattle mit Superlativen, die ihm allesamt gebühren und kaum je gerecht werden.
Doch selbst die beste Stimme kann eine schlechte Geschichte oder einen mittelmäßigen Song nicht besser machen. Oder nur wenig. Das war zuletzt immer wieder Lanegans Problem. Er arbeitete mit zu vielen Leuten, lieh zu vielen Projekten seine Stimme. Permanent tourte er mit Bands wie den Gutter Twins, den Twilight Singers, den Soulsavers oder auch nur von einem Gitarristen begleitet sowie immer wieder mit Isobel Campbell. Mit der Schottin veröffentlichte er drei durch die Bank entbehrliche Alben, die zwar kommerziell erfolgreich waren, jedoch in narrativen Klischees und also nicht weiter originellen Songs erstarrten. Nancy and Lee auf fad. Das letzte Album unter eigenem Namen - Mark Lanegan Band - datiert mit 2004, nun fasste sich Mark Lanegan wieder ein Herz und nahm ein weiteres auf: Blues Funeral.
Der Titel lässt zwar das Klischeefass überlaufen, aber es kommt doch diversifizierter. Da gibt es einmal diese drei Songs: The Gravediggers Song, Riot In My House und Quiver Syndrome. Das sind die heftigsten Lieder auf diesem vermeintlichen Blues-Begräbnis. Sie tragen die Handschrift von Josh Homme; der ist das Mastermind der Queens Of The Stone Age und mit Lanegan schon lange verbunden. Dementsprechend könnten diese Stücke von einem QOTSA-Album stammen, sind Hausmarke und erinnern an gemeinsame Großtaten wie Hanging Tree oder die Zusammenarbeit für das letzte Mark-Lanegan-Band-Album Bubblegum.
Den Rest des neuen Albums prägt ein abgebremster, weitreichend elektronisch gelayouteter Blues-Entwurf, der mit Reizwörtern wie Bleeding Muddy Water, St. Louis Elegy oder Deep Black Vanishing Train das versprochene Thema berührt. Dazwischen taucht unerwartet ein Stück wie Ode To Sad Disco auf, das nach den Synthie-Poppern Depeche Mode klingt, in deren Vorprogramm Lanegan vor zwei Jahren mit den Soulsavers um die Welt tourte. Sagen wir so, Lanegans Stärken liegen anderswo - etwa in dem leichtfüßigen Gray Goes Black. Unentschlossen bis bleiern wirken indes einige der Midtempo-Balladen, denen weder die austauschbaren Beats noch His Masters Voice genug Profil verpassen können, um sie über das Mittelmaß zu heben.
Hier offenbart sich das Defizit, dass Lanegan über keine gewachsene Band verfügt, darum klingt Blues Funeral gegen Ende zusehends nach Stückwerk. (Karl Fluch / DER STANDARD, Printausgabe, 20.1.2012)