Wien/Graz - "Die Sozialpolitik diskutiert am Jargon der Jugend vorbei", stellte das Institut für Jugendkulturforschung fest. Im Rahmen der Studie "Jugend und Zeitgeist" wurden 400 Wiener zwischen 16 und 19 Jahren zu den Aspekten "Soziale Gerechtigkeit" und "Gründe für Armut" befragt. Vielerorts zeigte man sich vom Ergebnis schockiert.

Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied: Dies sei eine weit verbreitete Ansicht unter Jugendlichen. Mehr als ein Drittel der Befragten gibt an, dass "Faulheit und Mangel an Willenskraft" die Auslöser für Armut in unserer Gesellschaft seien. Jakob Becvar (18) sieht das anders: "Kündigungen, Verlust des Ehepartners und schwere Erkrankungen" seien oft Grund für den finanziellen Abstieg. "Hier muss der Staat ansetzen."

In der "Subgruppe" der 16- bis 18-Jährigen machten 37,2 Prozent "Faulheit" für finanzielle Not verantwortlich. Lediglich 21 Prozent sagten "Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft" sei der Hauptgrund. Die gleiche Frage hatte im Jahr 2000 ergeben, die Jugendlichen sähen "Faulheit" und "Ungerechtigkeit" mit je 25 Prozent als gleichberechtigte Faktoren für Armut. Die "Umverteilungsdebatte" werde der Jugend also zunehmend fremder. Während 2000 noch 13 Prozent dieser Gruppe sagten, viele Menschen seien arm, "weil sie kein Glück haben", sind es nun nur vier. Dabei "wissen wir, dass Armut vererbt wird", sagt Jörg Pagger, Lehrer für Sozialmanagemant an der HLW Graz. "Leute aus bildungsferneren und armen Familien haben schlechtere Startchancen als andere." Auch die 16-jährige Alexandra Edletzberger hat hier Einwände: "Wenn man als hochqualifizierter Migrant nach Österreich kommt, wird man gegenüber weniger gut ausgebildeten, österreichischen Mitbewerbern benachteiligt."

Auch was prinzipiell unter dem Begriff "soziale Gerechtigkeit" verstanden wird, wurde erfragt. Der wichtigste Aspekt - mit 64,4 Prozent - ist für die Jugendlichen, dass die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen geschlossen werden soll. Gleiche Chancen auf der "sozialen Stufenleiter" und "einen guten Job zu finden" sowie "dass Minderheiten nicht diskriminiert werden", kommen gleich danach. Hier stimmt Edletzberger zu: "Gleiche Chancen am Arbeitsmarkt sowie in der Gesellschaft" sei ihr Verständnis von "sozial gerecht". "Wenn jeder das werden kann, was er will", sagt Becvar. So könnten "untere" Schichten aufsteigen und Leute mit Berufen in "höheren" Schichten auch absteigen.

Deutlich weniger - 45,5 Prozent - sagen, soziale Gerechtigkeit sei, dass jeder die Ausbildung machen könne, die er wolle, ohne dafür bezahlen zu müssen".

Ohne Matura keine Zukunft

Zu der Einstellung zum Beruf befragt, stimmt die Hälfte der jungen Wiener der Aussage "Wer keine Matura hat, ist am Arbeitsmarkt nichts mehr wert" zu, darunter vor allem "bildungsnahe" Jugendliche. Edletzberger ist nicht einverstanden, aber "die Matura ist gesellschaftlich einfach angesehener". Sie kritisiert, dass einem in der Schule immer eingetrichtert werde: "Ohne Matura wirst du nichts!" Für Becvar ist die Matura unverzichtbar, er meint jedoch, dass jemand, der eine gute Lehrausbildung hat, genauso seinen Weg machen könne. Für ihn ist daher die Imageaufbesserung der Lehre unerlässlich, denn Spezialisierung werde in Zukunft immer wichtiger.

Fast 40 Prozent meinen: "Gute Bezahlung ist wichtiger als Selbstverwirklichung im Beruf". Für ganze 65,5 Prozent ist ein "sicherer Arbeitsplatz wichtiger als die berufliche Karriere". Becvar schließt sich dieser "altmodischen Sicht" nicht an, denn in Zukunft seien häufigere Jobwechsel nicht zu vermeiden. (Barbara Schechtner, David Tiefenthaler, Selina Thaler, DER STANDARD, Printausgabe 18.1.2012)