Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1980: Peter Wirnsberger (Silber), Leonhard Stock (Gold) und Steve Podborski (Bronze). Man beachte die Jacken.

Foto: Wirnsberger Privat

Wirnsberger anno 1976.

Foto: Wirnsberger Privat

Wien – Peter Wirnsberger verzückte die heimischen Skifans 1986 mit zwei Triumphen auf der Kitzbüheler Streif. Es sollten seine letzten Siege im Weltcup bleiben. Von 1976 bis 1992 bestritt der Steirer 151 Abfahrten, gewann acht Rennen, einmal den Abfahrtsweltcup und Silber bei den Olympischen Spielen in Lake Placid 1980. Im Gespräch mit Philip Bauer ruft er Erinnerungen an wilde Zeiten auf der Hahnenkamm-Abfahrt wach.

derStandard.at: Die Sicherheitsvorkehrungen auf der Streif beschränkten sich in Ihrer Anfangszeit auf ein paar spitze Holzlattenzäune am Streckenrand. Das war doch purer Wahnsinn, oder?

Peter Wirnsberger: Aus heutiger Sicht kann ich dem nicht widersprechen. Es war einfach ein anderer Standard. In der Steilhangausfahrt lagen zwei Strohballen übereinander. Das war die Absicherung. Steve Podborski könnte Ihnen einiges darüber erzählen.

derStandard.at: Und zwar?

Wirnsberger: Er ist in der Steilhangausfahrt über die Absperrung in den Wald geflogen. Noch bevor ihn überhaupt jemand gefunden hat, ist er unten wieder rausmarschiert. (lacht) Ich war in meinem ersten Rennen so nah an den Ballen, dass sich das Stroh in den Schnallen verfing. Das waren wilde Zeiten.

derStandard.at: Beginnt man da nicht irgendwann nachzudenken?

Wirnsberger: Normalerweise hätte man sagen müssen: Freunde, da stimmt was nicht, das ist nicht normal. Diesen Gedankengang hat es damals aber nicht gegeben. Und mir kam es trotz allem nicht so gefährlich vor. Mein Gott, ich habe das Stroh rausgetan und bin wieder raufgefahren.

derStandard.at: Nehmen wir das Rennen 1981 her. Sie wurden damals Dritter. Abgesehen davon flogen die Fahrer in alle Richtungen, in Zäune, ins Publikum. Ein Ski-Massaker. War das Teil des Spiels?

Wirnsberger: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass darüber diskutiert wurde. Als Läufer war das für mich überhaupt kein Thema. Wenn ich damals begonnen hätte, über alle Eventualitäten nachzudenken, wäre ich gar nicht mehr raufgegangen. Ich hatte Spaß und Selbstvertrauen. Die Stürze habe ich gar nicht so registriert. Hört sich wild an, oder?

derStandard.at: In der Tat. Podborski hat das Rennen damals gewonnen. War der Ruf der "Crazy Canucks" berechtigt? Waren die Kanadier wirklich waghalsiger als der Rest?

Wirnsberger: Ihre wilden Stürze haben sie berühmt gemacht. Aber dann war doch immer wieder einer sehr schnell von ihnen. Dave Irwin war ein echter Kapazunder in puncto Stürze. Den hat es echt überall zerrissen. Aber eigentlich ist es kein Markenzeichen, oft zu stürzen.

derStandard.at: Erinnern Sie sich noch an den Auftritt von Ingemar Stenmark auf der Streif?

Wirnsberger: Er hat mir leidgetan, er war mit der Strecke überfordert. Man hat ihm Druck wegen des Gesamtweltcups gemacht, und dann stellt man ihn genau hier das erste Mal in einer Abfahrt an den Start. Er hatte die Hosen offensichtlich gestrichen voll.

derStandard.at: ORF-Reporter Michael Kuhn hat Sie einst als "einen der größten Draufgänger" bezeichnet. Eine Einschätzung, die Sie teilen?

Wirnsberger: Eigentlich nicht. Ich bin schon im Risikobereich gefahren, mir aber trotzdem immer sehr sicher vorgekommen. In Kitzbühel bin ich im Rennen nie gestürzt, im Training ist mir einmal vor der Mausefalle die Bindung aufgegangen.

derStandard.at: Also kalkuliertes Risiko?

Wirnsberger: Das wäre jetzt übertrieben. Ich bin mir ja nur sicher vorgekommen. Du glaubst, es unter Kontrolle zu haben. Aber in Wahrheit braucht es nur eine Kleinigkeit, und du fliegst in den Zaun. Ein kleiner Fehler genügt, die vollkommene Kontrolle ist nur eine Illusion.

derStandard.at: Wie fühlt sich der Skifahrer vor Kitzbühel?

Wirnsberger: Ein Alptraum. Zumindest vor dem Start in den ersten Trainingslauf. Wenn man aus dem Starthaus zur Mausefalle blickt, denkt man sich nur: Halleluja! Da ist der Respekt gewaltig. Auf der Strecke legt man ihn aber ab.

derStandard.at: Sie wurden bei Ihrem Debüt als 18-Jähriger gleich Sechster. Eine Strecke, die Ihnen gefallen hat?

Wirnsberger: Immer. Das Highlight des Jahres, vor allem als Österreicher. Kitzbühel war immer respekteinflößend, aber vor allem eine Herausforderung und ein immenser Ansporn.

derStandard.at: Manche Fahrer träumen ihre ganze Karriere von einem Sieg auf der Streif, Sie haben 1986 an zwei Tagen in Folge gewonnen. Wo ordnet sich das in Ihrem Leben ein?

Wirnsberger: Im Nachhinein merkt man erst den Stellenwert dieser Erfolge, daran können sich die Leute noch immer erinnern. Kitzbühel ist eben das legendäre Rennen. Ich bin sehr erstaunt, dass mich die Leute nach all den Jahren noch immer erkennen.

derStandard.at: Vielleicht erinnern sich die Menschen auch an Ihre Silbermedaille von Lake Placid?

Wirnsberger: Normalerweise vergisst man den Olympia-Zweiten. Aber in den Medien entstand das Gerücht, ich hätte Leonhard Stock im Ziel angespuckt. Ich war dann wirklich in Sorge und dachte, ich hätte im Delirium irgendeinen Blödsinn gemacht. Aber Leo hat mir versichert, dass da nichts war. (lacht)

derStandard.at: Das erste Rennen in Kitz haben Sie mit über einer Sekunde Vorsprung gewonnen. Haben Sie schon während des Rennens gespürt, dass es ein perfekter Tag wird?

Wirnsberger: Überhaupt nicht. Kitzbühel ist vom Start bis ins Ziel ein Höllenritt, man kämpft ständig um die Ideallinie, die aber ohnehin unerreichbar ist. Man gibt sein Bestes, ob das auch reicht, ist nicht abzuschätzen.

derStandard.at: Mittlerweile fahren die Besten wie auf Schienen durch den Steilhang. Wie sehr hat sich der Sport verändert?

Wirnsberger: Damals wurde nur manuell präpariert, die Unebenheiten auf der Strecke waren sicher größer. Hinzu kommt das Material. Wir fuhren damals mit 2,25-Meter-Latten. Der Mair Much mit 2,30. Mit den Taillierungen ist jetzt natürlich ein ganz anderer Radius möglich. Damals konnte man Kurven gar nicht auf der Kante fahren, das war ein ganz anderer Stil. Da hat es die Ski ständig herumgeschlagen. Aber auch die taillierten Ski muss man erst mal auf Zug bringen.

derStandard.at: Sie fuhren zwischen 1976 und 1992 im Weltcupzirkus. Was hat sich in dieser Zeit am Skisektor getan?

Wirnsberger: Wenig. Es gab Diskussionen um Wachs, mehr experimentiert wurde aber mit den Anzügen, darauf lag das Hauptaugenmerk. Jeder hat nur an Geschwindigkeit gedacht. Man ging von der Annahme aus, dass das Rennen auf der Geraden entschieden wird. Dafür war ein langer Ski ohne Taillierung natürlich optimal. Manchmal frage ich mich, wie man so blind sein konnte.

derStandard.at: Sie haben Kitzbühel bei ihrem 14. Antritt gewonnen. Auch ein Ergebnis der Erfahrung?

Wirnsberger: Ich habe Kitzbühel so wie alle Strecken in- und auswendig gekannt. Das ist natürlich ein Vorteil nach mehreren Jahren. Die gefinkelten Stellen erkennt man nicht bei der ersten Besichtigung. Beispiel Steilhangausfahrt: Im letzten Drittel gibt es eine sehr unauffällige Welle. Wenn man dort nicht aufpasst, versetzt es einen zwei Meter nach außen und man pickt im Netz. Das sind Erfahrungswerte.

derStandard.at: Ihre acht Siege haben Sie gut verteilt. Gröden, Wengen, Val d'Isère, Kitzbühel und Garmisch sind darunter. Besser geht es kaum. Haben Sie irgendetwas ausgelassen?

Wirnsberger: Ich habe es nicht geplant, aber ich habe alle Klassiker gewonnen. Die Statistik bleibt erhalten, auch wenn sie im restlichen Leben relativ unwichtig ist.

derStandard.at: Andere waren sogar noch erfolgreicher. Welcher Abfahrer hat Ihnen den meisten Respekt abgerungen?

Wirnsberger: Franz Klammer, ganz eindeutig. Als ich angefangen habe, wurde er gerade Olympiasieger. Für mich war er die ganzen Jahre hindurch der Läufer. Der Franz war einfach die Nummer eins. Gerade sein Sieg 1984 in Kitzbühel war einfach nur unglaublich. (Philip Bauer, derStandard.at, 19.1.2012)