
Bill Mitchell bildet am Poynter-Institut Journalisten aus. Er lehrt auch "New Media Trends" an der FH für Journalismus in Wien.
Eine Bezahlschranke sei nur eine von vielen Einnahmequellen, sagt Bill Mitchell vom renommierten Poynter-Institut in den USA zur Diskussion "Paywall Ja oder Nein?". Im E-Mail-Interview mit derStandard.at erklärt er, welche Strategien zum Erfolg führen könnten.
derStandard.at: In einem Artikel führen Sie fünf Gründe für Bezahlschranken ins Treffen. Sind Sie der Meinung, dass alle Nachrichtenseiten eine Paywall einführen sollten?
Mitchell: Nein, aber es gibt immer mehr Anhaltspunkte dafür, dass die Risiken nicht so groß sind wie befürchtet. Einige Organisationen sind sehr wohl in der Lage, ausreichend Einnahmen über andere Kanäle zu generieren. In manchen Fällen können Paywalls sogar kontraproduktiv sein. Wie ich hier darauf hinweise, kommt es bei Verlagen zu grundlegenden Veränderungen ihrer Geschäftsmodelle. Die bisherigen zwei Säulen, Abonnements und Werbung, weiten sich auf mehrere mögliche Einnahmequellen aus. Eine Paywall ist nur eine dieser Möglichkeiten, die nicht unbedingt für alle Verlage geeignet sein muss.
derStandard.at: Welche Unternehmen halten Sie für prädestiniert, mit Paywalls Erfolg zu haben? Am ehesten die großen Verlage, die das in Kombination mit einer Zeitung installieren?
Mitchell: Ich glaube nicht, dass irgendwer rein aufgrund seiner Ausgangslage Erfolg haben wird, und ich glaube auch nicht, dass die Größe das wichtigste Kriterium ist, sondern der Inhalt. Also Nachrichten zu haben, die nicht auf anderen Seiten verfügbar sind. Zum Beispiel sind viele kleine Zeitungen mit digitalen Abos erfolgreich, weil sie die führende und manchmal auch einzige Quelle in der Region für lokale Nachrichten sind. Je mehr Inhalte ein Medium produziert, die auch woanders verfügbar sind, desto geringer die Chance, dass die Leute dafür zahlen.
derStandard.at: Denken Sie an bestimmte Beispiele für Paywalls, an denen sich andere Medien orientieren sollten?
Mitchell: Die besten sind für mich jene, die flexibel sind, den Rahmenbedingungen des Marktes Rechnung tragen und sich den Vorlieben der User anpassen. Mit anderen Worten: durchlässige oder flexible Paywalls.
derStandard.at: Lässt sich unabhängiger, qualitativ hochwertiger Online-Journalismus ohne Paid Content finanzieren?
Mitchell: In manchen Fällen ja. DER STANDARD ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es als Medium schaffen kann, sich über Formen von Werbung und Marketing eine Online-Kompetenz aufzubauen, die ohne die Einnahmen von digitalen Abos auskommt. Nur, jetzt und generell gesehen, wo mehr und mehr Inhalte und Umsätze von Print in Richtung Online wandern, glaube ich, dass Medien so intelligent sein sollten, auf verschiedene Erlösquellen zu setzen. Digitale Abos gehören dazu. Online-Werbung verzeichnet sehr hohe Wachstumsraten.
derStandard.at: Glauben Sie nicht, dass viele Portale auch ohne Paid Content überleben können?
Mitchell: Das Problem mit digitaler Werbung ist, dass die Nachfrage oftmals den für Werbung zur Verfügung stehenden Platz auf den Seiten überschreitet. Nicht alle Möglichkeiten für digitale Werbeformen wurden bereits ausgeschöpft. Neue, innovative Formen werden kommen, die sowohl den Werbenden als auch den Medien zusätzlichen Profit bringen werden. Ja, ich glaube, dass es Seiten geben wird, die ohne Paid-Content-Modelle wirtschaftlich erfolgreich sein können, aber die meisten werden auf eine Kombination aus Werbung, bezahlten Inhalten, Kleinanzeigen und Corporate Publishing setzen müssen.
derStandard.at: Beispielsweise bei einem großen Medium wie der "New York Times": Können die Einnahmen aus den Digitalabos die geringer werdenden Printumsätze kompensieren?
Mitchell: Mein Kollege Rick Edmonds hat in einem Beitrag sehr gut herausgearbeitet, dass mehr und mehr Nachrichtenunternehmen Strategien entwickeln, um die Leser auf mehreren einander ergänzenden Plattformen zu halten. Die Einnahmequellen verlagern sich einfach.
derStandard.at: Die "New York Times" hat die Besucherzahlen auf ihrer Seite trotz Installierung einer Paywall erhöhen können. Mit welcher Strategie?
Mitchell: Die "New York Times" hat ihre Paywall so strukturiert, dass die meisten Einnahmen von Kunden kommen, die auf die Serviceleistungen des Mediums Wert legen. Die Paywall ist durchlässig genug, um Zugriffe, die von Links über Suchmaschinen und soziale Medien kommen, zu erlauben. Nicht zuletzt deshalb konnte die Seite ihre Unique Visitors steigern und die Zeitung ihre Reputation in puncto Qualitätsjournalismus.
derStandard.at: Es gibt bei den Paywalls einen großen Unterschied zwischen dem angloamerikanischen Raum und Europa. In Deutschland wagt nur Axel Springer den Vorstoß. Glauben Sie, dass bald andere Verlage auf den Zug aufspringen werden?
Mitchell: Ich weiß es nicht. Es ist interessant, dass europäische Zeitungen traditionell einen höheren Prozentsatz ihrer Einnahmen aus Abonnements und Direktverkauf erzielen als US-Zeitungen. Das heißt eigentlich, dass Leser aus Europa eher daran gewöhnt sind, den Wert von Zeitungen monetär zu honorieren. Ich sehe keinen besonderen Grund, warum das nicht auch auf digitaler Ebene funktionieren soll, solange es Medien smart und nicht überfallsartig machen. Siehe den Kommentar von Dirk Nolde, "Berliner Morgenpost", und Matus Kostlony, SME.sk.
derStandard.at: Die Interaktion verändert den Journalismus. Welche Fähigkeiten muss ein junger Journalist an den Tag legen?
Mitchell: Alle Journalisten, alt und jung, brauchen Talente, die ich hier anhand dieses Beispiels* als die nächste Stufe des Journalismus beschreibe. In einer Welt, in der jeder etwas publizieren kann und wo Nicht-Journalisten die ersten Zeugen sind, die bei Ereignissen vor Ort sind, müssen Journalisten über besondere Fähigkeit verfügen. (om, derStandard.at, 24.1.2012)