Müde: Der Guide Michelin wird immer weniger gekauft

Foto: Michelin

Paris - Das Internet bringt auch den renommiertesten Gourmetführer der Welt in Bedrängnis. Nicht anders ist das Treffen zu verstehen, zu dem Michelin-Chef Jean-Dominique Senard kürzlich gebeten hatte und das in Frankreich als Sensation betrachtet wird: Erstmals in der Geschichte des für seine restriktive Informationspolitik berüchtigten Guides wurden Großköche wie Alain Ducasse und Joël Robuchon, aber auch die Vertreter von gastronomischen Verbänden wie Relais & Châteaux, zum Termin ins noble Hotel Plaza Athénée in Paris geladen, um gravierende Veränderungen in der Strategie des für seine Sterne berühmten Michelin-Führers (Guide Rouge) mitgeteilt zu bekommen.

Weil die Druckversion auch in Frankreich massive Rückgänge zu verzeichnen hat (die Austro-Version musste wie andere auch vor Jahren eingestellt werden, Anm.), wird Michelin seine Gourmet-Aktivitäten vermehrt auf das Internet konzentrieren - auf den Webauftritt, aber auch auf Smartphone-Apps. In wenigen Wochen, so Senard in der Fachzeitschrift L'Hôtellerie Restauration, solle mit "Michelin Restaurants" eine neue Website online gehen. Dort werde - gegen Bezahlung - vorerst die Gesamtheit der französischen Guide-Inhalte präsentiert. Die übrigen Länder würden nach und nach hinzugefügt.

Präsenz um 69 Euro pro Monat

Zusätzlich aber solle es künftig möglich sein, sich als Restaurant eine Präsenz auf der Website zu kaufen. Um 69 Euro pro Monat, so der Michelin-Chef, würden Betriebe die Möglichkeit erhalten, sich mit Fotos, Speisekarten und Ähnlichem zu präsentieren. Dies werde nicht nur den bewerteten Restaurants offenstehen, sondern auch solchen, die nicht Eingang in den Führer gefunden haben.

Was Senard als "Erweiterung hin zu einer Suchmaschine für Restaurants" verstanden wissen will, sorgt bei Edelköchen für Empörung.

Erstmals halte mit Michelin nun auch der renommierteste Restaurantguide die Hand auf - Mitbewerber wie Gault Millau kennen schon seit Jahren keinen Genierer, bewertete Restaurants "einzuladen", mittels zu bezahlender Fotos ihre Präsenz im Guide "aufzuwerten". Viele Wirte befürchten nun, dass eine wohlmeinende Beurteilung davon abhängen könnte, ob und wie solche Angebote gebucht würden. Michelin dementiert dies.

Für noch mehr Aufregung sorgt der Plan, auch Kundenkritiken zu veröffentlichen. Alain Ducasse sagt deshalb "einen Aufschrei der ganzen Branche" voraus: Professionelle mit amateurhaften Bewertungen zu vermengen, würde das Prestige des Führers massiv beeinträchtigen. Davon abgesehen könnten so auch Übelmeinende den Restaurants Schaden zufügen und negative Bewertungen abgeben - ohne beweisen zu müssen, dass sie je in dem jeweiligen Etablissement gegessen hätten.

Für die Tageszeitung Le Monde scheint sich damit das "bevorstehende Ende des Guide Michelin" zu präzisieren - zumindest in jener Form, die ihn in der Vergangenheit zum einflussreichsten Führer seiner Art gemacht hat. (Severin Corti, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.1.2012)