"Bestseller sind nicht planbar", sagt Deuticke-Verlagschefin Schmidt, aber man kann viel lernen, wenn sie passieren ...

Foto: Deuticke Verlag

Stefan Gmünder sprach mit ihr.

STANDARD: Daniel Glattauer, Paulus Hochgatterer, Dimitré Dinev, Radek Knapp, Daniel Kehlmann - alles Autoren, die ihre literarische Karriere unter Ihrer Verlegerschaft begannen oder wie im Fall von Alex Capus erst richtig lancierten. Sie scheinen einen guten Riecher für Texte zu haben.

Schmidt: So etwas kann man wohl kaum über sich selbst sagen. Ich bin ein Einzelkind und habe mich manchmal sehr einsam gefühlt. Daher habe ich, auch weil meine Eltern eine riesige Bibliothek hatten, sehr viel gelesen. Ich glaube, das war die eigentliche Ausbildung, um später gute Autoren und Texte erkennen zu können, und zwar weniger auf einen intellektuellen als auf einer Gefühlsebene.

STANDARD: Apropos Gefühl. Lässt sich Hochliteratur heute überhaupt noch verkaufen?

Schmidt: Der Begriff Hochliteratur hat sich für mich nie erschlossen. Ich finde, es geht um das Gefühl, das Autoren den Lesern vermitteln. Und es ist entscheidend, ob dieses Gefühl authentisch ist oder nicht. Leser merken das genau.

STANDARD: Was macht neben Authentizität ein gutes Buch aus?

Schmidt: Ich habe als Kind ganz naiv zu lesen angefangen, auch Bücher, die überhaupt nicht für mein Alter geeignet waren. Ich kann mich erinnern, dass ich mich sehr ärgerte, wenn ich ein Buch - beispielsweise Heideggers Sein und Zeit - nicht spannend fand. Ich verstand damals nicht, dass Sein und Zeit kein Buch für mich war. Vielleicht hat es mit dieser Lesersozialisierung zu tun, dass ich nach wie vor primär gern Bücher lese, die ich spannend finde. Spannung ist für mich ein Kriterium, das sehr ernst zu nehmen ist. Wenn man beim Lesen bemerkt, dass man nach drei Buchseiten auch schauen könnte, ob man eine SMS gekriegt hat, oder mit dem Gedanken spielt, die Blumen zu gießen, ist es kein gutes Buch.

STANDARD: Jeder Verleger träumt davon, einen Bestseller zu landen.

Schmidt: Bestseller sind nicht planbar. Ich glaube, man muss unterscheiden, ob man ein Buch macht, weil man glaubt, der Markt wartet darauf, das würde ich ganz falsch finden. Anders ist es, wenn man bei einem Buch erkennt, dass es ein Bestseller werden kann, weil der Markt darauf reagiert. In diesem Fall kann man Werbegeld und Marketingmaßnahmen einsetzen. Bei Daniel Glattauers Gut gegen Nordwind war es zum Beispiel so, dass sich durchaus nicht alle im Verlag damals sicher waren, dass das ein Riesenbestseller werden würde. Die ersten, die das klar gesagt haben, waren die Vertreter. Gut gegen Nordwind war ein nicht geplanter Bestseller und für alle Beteiligten eine wichtige Erfahrung. Bei den weiteren Büchern von Daniel Glattauer konnte man dann davon ausgehen, dass es Bestseller werden ... aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass kein Verlag einen Bestseller auf dem Reißbrett entwerfen kann. Und das ist sehr beruhigend.

STANDARD: Sie haben zuweilen lange an Autoren festgehalten, die nicht von Anfang an so erfolgreich waren wie heute, wie etwa Paulus Hochgatterer und Daniel Kehlmann. Heute, so scheint es, wird auf schnellen Erfolg gesetzt?

Schmidt: Das sind allerdings Beispiele, bei denen der Erfolg nicht lange auf sich warten lassen hat ... im Fall von Daniel Kehlmann leider nicht mehr bei uns, weil er uns verlassen hat. Ich versuche, solange es irgendwie geht, zu einem Autor zu stehen. Weil wir auch Geld verdienen müssen, wird es schwierig, wenn nach zwei, drei Büchern keinerlei Licht am Horizont wahrzunehmen ist. Wenn wir sehen, dass sich etwas entwickelt, halten wir an diesem Autor fest. Es ist eine große Entscheidung, ein Buch von jemandem zu verlegen, weil es eben um mehr geht als um ein Buch. Es ist die Entscheidung für einen Autor. Man hat als Verleger dann die Pflicht, sich zu kümmern.

STANDARD: Täuscht der Eindruck, dass sich der Bestsellermarkt nur noch auf einige wenige Autoren fokussiert?

Schmidt: Das ist auch bei uns zu spüren. Die Bestseller werden immer größer, und die Autoren, die früher 5000 Exemplare verkauft haben, verkaufen heute nichts mehr. Die Mitte ist verlorengegangen. Es gibt Autoren, die wenig verkaufen, und es gibt Autoren, die sehr viel verkaufen. Warum das so ist, kann ich nicht sagen, ich weiß nur, dass es als Verlegerin sehr schwierig ist, damit umzugehen, zumal es in einem Haus Autoren gibt, die sehr viel Erfolg haben, und andere, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Die Armen werden ärmer, und die Reichen werden reicher - auch im Verlagswesen.

STANDARD: Was heißt, nichts mehr verkaufen, ein paar hundert Stück?

Schmidt: Seit wir einen deutschen Eigentümer und einen deutschen und Schweizer Vertrieb haben, heißt wenig 2000 Exemplare.

STANDARD: Hat sich für Sie etwas geändert, seit der Deuticke Verlag, der früher dem Österreichischen Bundesverlag gehört hat, an Hanser verkauft wurde?

Schmidt: Ja. Die Möglichkeiten sind viel größer als früher. Der Druck allerdings auch.

STANDARD: Im Jahr 2000 schrieben Sie in Ihrem Essay "Glühwürmchens Rache" (NZZ), der Ast, auf dem Verlage säßen, sei schon einmal länger gewesen. Gewachsen scheint er in den letzten zwölf Jahren nicht zu sein.

Schmidt: Grundsätzlich hat sich geändert, dass es E-Books gibt, was für uns kein Nachteil ist, weil wir die verkaufen wie normale Bücher. Es handelt sich dabei allerdings um einen bei weitem nicht so großen Anteil, wie man meinen könnte. Alle Sieben Wellen hat im Hardcover und Taschenbuch eine Million Bücher verkauft und im Vergleich dazu 5000 E-Books. Wobei es sich bei den Glattauer-Lesern wahrscheinlich um eine Leserschaft handelt, die eher E-Book-affin ist. Das E-Book wird uns sicher nicht umbringen. Es wird eher passieren, dass Menschen weder E-Books noch Bücher lesen, weil es mittlerweile so viele andere Medien gibt. Die Zeit etwa, die heute auf Facebook verbracht wird, fehlt als Bücherlesezeit. Ich glaube aber, dass sich alle diese Probleme im Rahmen hal-ten ... die Verleger haben immer gern gejammert. Verschärft haben sich die Marktbedingungen durch die großen Buchhandelsketten, die, wenn sie geneigt sind, Bücher zu unterstützen, dafür auch viel verlangen. Wenn es weiter in die Richtung geht, dass man als Verlag keine Chance hat, wenn man den Ketten nicht bestimmte Zahlungen für ihre Werbung und damit indirekt für Platz in Buchhandlungen leistet, dann wird das für kleine Verlage ein Desaster. Aber gerade die Kleinverlage probieren literarisch viel aus.

STANDARD: E-Books sind in den deutschsprachigen Ländern durch die Buchpreisbindung ähnlich teuer wie Hardcovers.

Schmidt: E-Book-Bestseller kosten in den USA zuweilen weniger als einen Euro. Ich weiß nicht, was die Folgen wären, wenn der Preis für E-Books auch hier freigegeben würde. Ich habe trotzdem keine Angst, weil ich glaube, dass ein richtiges Buch, das man wie einen Freund mit nach Hause nehmen kann, immer wichtig bleiben wird.

STANDARD: In der Schweiz wird im März abgestimmt, ob die Buchpreisbindung nach fünf Jahren wiedereingeführt werden soll. Wie ist Ihre Meinung?

Schmidt: Die Preisbindung ist gut, weil sie das Buch als Kulturgut und damit die Rechte der Autoren schützt. Ich finde, Bücher dürfen etwas kosten.

STANDARD: Es heißt, das Schicksal eines Buches stehe oft schon vor seinem Erscheinen fest, hauptsächlich hänge es von der berüchtigten Vertreterkonferenz ab.

Schmidt: Die Vertreter haben in ihrer Gesamtheit eine sehr gute Nase dafür, was sich verkaufen lässt. Dem kann man sich nur beugen. Ich kann natürlich ein Buch machen, auch wenn die Vertreter nicht daran glauben. Ich habe aber mittlerweile gelernt: Diese Leute wissen, was man verkaufen kann. Punkt. Das sind in unserem Verlag 13 deutsche, Schweizer und österreichische Vertreterinnen und Vertreter, die in Summe eine so große Erfahrung haben, dass es keinen Fall gibt, den ich kenne, in dem sie sich getäuscht hätten.

STANDARD: Das klingt seltsam.

Schmidt: Nein, die können das einfach erschreckend klar einschätzen. Es gibt diese Zensur, die ich im Kopf habe, wenn ich ein Buch einkaufe. Ich versetze mich kurz in die Situation während der Vertreterkonferenz und stelle mir vor, wie es ist, dieses Buch zu präsentiere. Dafür hat man ungefähr eine Minute Zeit. Bei einem Buch, bei dem ich nicht in einer Minute sagen kann, um was es geht oder was es ist, wäre ich sehr vorsichtig. Das klingt brutal, aber die Wahrheit ist, wenn man bei der Vorstellung eines Buches anfängt herumzuschwadronieren, ist das kein allzu gutes Zeichen, weil es sich um ein Buch handelt, das sich schwer vermitteln lässt. Und ein Buch, das sich schwer vermitteln lässt, lässt sich nicht gut verkaufen.

STANDARD: Und doch schaffen immer wieder Bücher den Durchbruch, von denen man es nicht erwartet hätte.

Schmidt: Die Mundpropaganda rettet sogar Bücher, die in Verlagen erscheinen, die kein gutes Vertriebsnetz haben, und macht unbekannte Autoren zu Stars. Die Mundpropaganda ist immer noch das entscheidende Kriterium. Die Vertreter stellen dem Buchhändler zwar ein Buch in den Laden, und der Buchhändler will es dann auch verkaufen - aber er kann es nicht verkaufen, wenn die Kunden nicht anfangen, darüber zu reden, aufgrund von Berichten in den Medien oder, weil die Nachbarin das Buch gelesen hat.

STANDARD: Es scheint, als würden immer mehr Bücher geschrieben.

Schmidt: Ich habe auch den Verdacht, dass mehr Leute schreiben als lesen. Ich habe ein permanent schlechtes Gewissen, weil ich meinem Lektürepensum hinterherhinke, diese Bürde schleppe ich dauernd mit mir herum. Das Verrückte an diesem Beruf ist, dass man für das, was man am liebsten tut, keine Zeit mehr hat, was auch damit zu tun hat, dass der Tsunami von unverlangt eingesandten Manuskripten demotivierend ist. Ich habe gestern zufällig ein Manuskript aus dem Stapel gezogen, das ich toll fand, was extrem selten ist. Es wird zu viel geschrieben - und zu wenig Gutes. (Stefan Gmünder, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 21./22. Jänner 2012)