Über die Hecke lugen: George Clooney als gehörnter Ehemann in "The Descendants".

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Alexander Payne (50) ist Autor, Regisseur und Filmsammler. Er studierte in Stanford und an der UCLA, 1991 debütierte er mit "The Passion of Martin", es folgten u. a. "Election" und "Sideways".

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Der US-Regisseur über Shorts, Wahrhaftigkeit und die Komik des Alltags

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Wien - Dass Hawaii für die meisten Menschen Inbegriff der paradiesischen Urlaubsdestination ist, kann Matt King (George Clooney), der Held aus Alexander Paynes neuem Film The Descendants, nicht mehr hören. Das Leben hält für den etwas nachlässigen Familienvater tatsächlich eine besondere Prüfung bereit: Seine Frau verunglückt bei einem Bootsunfall, sodass er sich plötzlich mit Pflichten gegenüber seinen Töchtern und anderen, unschönen Überraschungen konfrontiert sieht. Nach About Schmidt und Sideways beweist Payne mit dieser warmherzigen Tragikomödie ein weiteres Mal, dass er sich auf die nuancierte Darstellung existenzieller Krisen bestens versteht - George Clooney gilt für diesen Part zu Recht als Oscar-Anwärter.

STANDARD: "The Descendants" gewinnt laufend Preise, eigentlich wollten Sie jedoch einen Film namens "Downsizing" drehen - über ein Paar, das beschließt, der Finanzmisere zu entgehen, indem es sich ganz klein macht.

Payne: Ja, das ist - vorerst - am Geld, aber auch an der Technologie gescheitert. Der Film lebt von einer einzigartigen visuellen Idee. Vielleicht ist es mit Special Effects bald realisierbar - leider habe ich überhaupt keine Ahnung davon. Von The Descendants hatte ich 2007 das erste Mal gehört, mein Produzent machte mich darauf aufmerksam, doch ich dachte nicht, dass ich das selbst realisieren würde. Eine Weile sah es so aus, als ob Stephen Frears es machen würde. Als er dann doch nicht konnte, beschloss ich, es selbst zu übernehmen.

STANDARD: Was hat Sie denn umgestimmt?

Payne: Um die Wahrheit zu sagen: Mir ging die Geschichte nicht sehr zu Herzen. Ich blieb irgendwie draußen: Erst als ich am Buch zu schreiben begann, kamen mir Ideen, die mir den Film emotional und filmisch näher brachten.

STANDARD: Wie haben Sie sich dem Schauplatz Hawaii angenähert - kannten Sie den Ort?

Payne: Nein, ich hatte keinerlei Vorstellung von dieser Welt reicher Leute in Hawaii - ich bin aus Nebraska! Ich benötigte wirklich die Hilfe der Autorin Kaui Hart Hemmings. Sie war es auch, die mir die Tür zu dieser Seite von Hawaii geöffnet hat, sie hat mir die Leute vorgestellt, die Clubs und Häuser gezeigt - so-dass ich ein Gefühl für alles bekam. Schon in About Schmidt waren Ausstattung und nichtprofessionelle Darsteller sehr wichtig. Sie erzählen, wie ein Ort wirklich ist. Diesmal musste ich diese asiatischen Gesichter neben den weißen Protagonisten haben. Sie helfen auch dabei, dass Filmstars plötzlich realer wirken.

STANDARD: Man hat den Eindruck, Sie zeigen in Ihren Filmen bevorzugt normales, bürgerliches Leben.

Payne: Im Film heißt es zu Beginn: "Sie glauben, Hawaii ist das Paradies? Fuck you, it's not!" Auf einer visuellen Ebene ist es reizvoll, an einem der schönsten Orte der Welt zu sein und dann zu zeigen, wie die Menschen wirklich leben. Doch es ist keine besonders tiefsinnige Offenbarung, dass Menschen überall leiden. Denken Sie nur daran, wie schön Haiti ist!

STANDARD: Dennoch liegt etwas Komisches in Ihrem Blick auf den Alltag - schon allein diese lächerlichen Shorts und Hemden!

Payne: Oh ja, aber die Menschen ziehen sich dort wirklich so an! Man könnte The Descendants eine soziale Komödie nennen - es geht ja auch um Moral. Und ich habe tatsächlich noch nie Hawaii in einem Film gesehen. Man kennt ähnliche Geschichte aus jeder verdammten Stadt der Welt. Ich fand es spannend, eine alte Geschichte an einem neuen Ort zu erzählen.

STANDARD: Es gibt im Film auch einen Erzählstrang um die Veräußerung von Land - und die Frage, wem es eigentlich gehört.

Payne: Mir ging es darum, glaubwürdig zu sein. Es ist ein Teil des Buches, also habe ich über die gesetz- lichen Fragestellungen - wie es sein kann, dass ein einzelner Mann der Vermögensverwalter des Landes ist - lange mit Anwälten gesprochen. Es war wichtig, dass dieses Element im Film ist, ohne dass daraus eine liberale Botschaft wird.

STANDARD: Also ohne Emphase ...

Payne: Genau. Ohne "Lass uns das Land retten!"-Slogans - selbst wenn wir damit sympathisieren.

STANDARD: Sie sprachen von einer sozialen Komödie - dies ist im Hollywood-Kino selten. Zeichnet eine solche ihr Realitätssinn aus?

Payne: Haben Sie Martin Scorseses Dokumentation über Elia Kazan gesehen? Es gibt darin einen schönen Satz über Die Faust im Nacken: "Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass die Leute, die ich kannte, Bedeutung hatten." Ich fühle ähnlich, ich möchte Menschen wie aus Omaha - der Stadt, aus der ich komme - auch in Filmen sehen. Das Leben hat diese gewisse Patina. Ich schätze Filme, die unserer Realität näherkommen. Und ich mag Komödien.

STANDARD: Ihr Film hat einen dramatischen Kern, er wechselt allerdings oft die Tonart ins Komische.

Payne: Das plane ich nicht, es ergibt sich dadurch, dass hier eine eigentlich düstere, traurige Geschichte von einem Komödienregisseur erzählt wird. Wenn sich eine Gelegenheit für einen Gag ergibt, ergreife ich sie. Ich spreche von visuellen Witzen: Wie Matt rennt, wie er den anderen Mann ausspioniert, wie er Sätze nicht so richtig über die Lippen bekommt - Absurdität findet sich in allen Dingen, auch in den schrecklichsten. Die Tatsache, dass wir existieren, ist absurd.

STANDARD: Ab wann haben Sie denn an George Clooney gedacht?

Payne: Er war meine erste Wahl. Ich schreibe allerdings nur selten mit Schauspielern im Kopf - wenn doch, dann mit einem, der bereits tot ist. About Schmidt schrieb ich für William Holden.

STANDARD: Gab es den Anreiz, Clooney anders zu zeigen - er wirkt hier sehr empfindsam, verletzlich?

Payne: Lassen Sie es mich so sagen: Ich denke nicht so sehr an den Kontext oder die Ikonografie eines Schauspielers. Aber ich gebe zu, dass ich an einem bestimmten Moment gedacht haben: "Ich habe zwar Tom Hanks, aber noch nie George Clooney weinen gesehen." (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 21./22. Jänner 2012)