Luis Alberto Cepeda ist Polizeioffizier mit grünem Daumen. Er soll Wissenschaftern zur Wunderwaffe gegen die Kokapflanze verhelfen. Meist ist die Drogenmafia einen Schritt voraus.

Foto: Sandra Weiss

Espinal/Puebla - Mit zusammengekniffenen Augen hält Luis Alberto Cepeda das dunkelgrüne Blatt gegen die Sonne. Es ist der Blick eines Experten, der sich seit Jahren dem Anbau des Strauchs widmet. Rund um die verzweigten Äderchen zeichnen sich im Gegenlicht dunkle Schatten ab. Dort konzentriert sich der chemische Wirkstoff, der mit Lösungsmitteln herausgezogen und mit anderen Chemikalien verschnitten das ergibt, wofür Junkies viel Geld bezahlen: Kokain.

Mehr als 20.000 Kokasträucher 18 verschiedener Arten betreut der Kolumbianer auf seiner Plantage südwestlich der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Doch im Gegensatz zu anderen Kokabauern muss er nicht ständig auf der Hut sein vor den Anti-Drogen-Einheiten - hier ist alles legal.

Weltgrößte experimentelle Kokaplantage

Cepeda ist kein Kokabauer, sondern Polizeioffizier. Die Felder im ausgedehnten Tal des Coello-Flusses sind die weltweit größte experimentelle Kokaplantage. "Früher habe ich die Kokasträucher ausgerottet, jetzt pflege ich sie", lacht der drahtige Mann. Unter seiner fachkundigen Aufsicht werden Pflanzen gekreuzt, um neue Sorten zu erhalten, oder mit Chemikalien besprüht, um ihre Widerstandsfähigkeit zu testen.

Koka ist von Haus aus genügsam: Schon nach ein bis zwei Jahren ist die erste Ernte möglich, nach fünf Jahren kann man die Blätter bis zu siebenmal pro Jahr ernten, wenn man die Sträucher gut düngt, und das fast 40 Jahre lang. Wie man diesen Zyklus unterbinden kann, das wollen die Wissenschafter herausfinden, für die Cepeda arbeitet: kolumbianische und US-amerikanische Forscher, die mit großen Strohhüten durch die Anpflanzung marschieren, mit Meterstäben die Sträucher vermessen und haufenweise Daten in Notizbücher eintragen. Washington finanziert die Versuchsplantage mit.

Eigenes Labor

Sogar über eigene Labors verfügt die Anlage. Mehr als ein mittelgroßes Betonbecken, ein paar Plastikfässer, Benzin, Zement, Wasser sowie Schwefelsäure und Kalziumkarbonat braucht man nicht, um innerhalb einiger Stunden aus den grünen, reifen Blättern die "pasta base" herzustellen.

Ein Kilogramm Paste bringt den Bauern um die 1500 US-Dollar ein. Der Prozess ist in jeder improvisierten Dschungelhütte möglich. Um die Paste dann zu kristallisieren, braucht man eine Wärmequelle und mehrere Chemikalien wie Schwefelsäure, Salzsäure und Aceton.

Zwei Kilo Pasta = ein Kilo Kokain

Weil der Handel mit den Vorläufersubstanzen heute schärfer überwacht wird und Wärmequellen per Satellit im Dschungel auszumachen sind, findet der Prozess inzwischen hauptsächlich in den Städten statt, in improvisierten, leicht auf- und abzubauenden Hinterhoflabors. Aus zwei Kilo Pasta entsteht dort ein Kilo Kokain, das in Kolumbien 2000, in den USA 30.000 Dollar kostet.

Die hohe Gewinnspanne ist der Antrieb für das Geschäft. Die Mobilität und der rasche Rhythmus der Innovation stellen die Drogenbekämpfer ständig vor neue Herausforderungen. Es ist ein atemberaubender Wettlauf: Haben die Drogenbekämpfer einen Stoff gefunden, der den Strauch schnell zerstört, stellt die Drogenmafia für viel Geld Chemiker, Biologen und Ingenieure ein, um ein Gegenmittel zu finden.

Kokaanbau im Regenwald

Wachsen die besten Sträucher nach wie vor auf 800 Meter Höhe am feuchten Osthang der Anden, gibt es inzwischen auch schon Sorten, die tiefer oder höher gedeihen. So dehnt sich der Kokaanbau in den Regenwald aus.

Die Mafia ist immer einen Schritt voraus: Sie lässt die Kokasträucher nun einfach am Fuß steiler Hügel pflanzen, wohin die Sprühflugzeuge nicht gelangen. Und die Bauern haben begonnen, eine andere Kokaart zu ziehen, die auch im Schatten hoher Bäume wächst und damit aus der Luft unsichtbar ist.

Gefahr für den Urwald

Cepeda pflanzt inzwischen auch Kokasträucher weit verstreut unter hohen Tropenbäumen. "Per Satellit kann man sie orten", bekräftigt er. Doch mit dem Besprühen an diesen Stellen ist das so eine Sache: Auch der gesamte umliegende Urwald würde vernichtet. Bis ein Wundermittel gefunden wird, müssen die Anti-Drogen-Einheiten auf die klassische Ausrottung ausweichen, bei der die Pflanze mit der Wurzel ausgerissen wird - und laufen dabei Gefahr, von der Drogenmafia angegriffen zu werden. (Sandra Weiss, DER STANDARD, Printausgabe, 21/22.1.2012)