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Böser Kommunismus, armes Liebespaar: Die Doppelpack-Inszenierung von Stephan Lawless zeigt die Protagonisten in Rachmaninows "Francesca da Rimini" als Opfer simpler Machtmechanismen.

Foto: AP/Lilli Strauss

Musikalisch ist die Neuproduktion des Theaters an der Wien solid auf hohem Niveau.

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Wien - Weiß sind die Rosen der Unschuld, rot sind die Blumen der Liebe. So märchenhaft schlicht ist die Handlung von Iolanta gesponnen - ein denkbar glattes Terrain, sollte sich ein Regisseur vorgenommen haben, diesen Einakter zu "aktualisieren" , ihn also mit einem kommentierenden Kontext zu versehen, ohne dass die von Tschaikowski so ausgiebig heraufbeschworene und dabei ziemlich dick aufgetragene Poesie Gefahr läuft, restlos zu verblühen.

Stephen Lawless erzählt die Geschichte von der blinden Königstochter, die am Ende durch die Macht der Liebe ihr Augenlicht gewinnt, denn auch schlackenlos und schlicht. Die idyllische klösterliche Kugel, in der Iolanta vor der Welt verborgen und im Unwissen um ihre Blindheit gehalten wird, erweist sich allerdings nach einer Drehung von der Maschekseite als unansehnlicher, scharf bewachter Bunker, der ein wenig an die Republik Kugelmugel im Wiener Prater erinnert (Bühnenbild: Benoît Dugardyn).

Die Kostüme von Jorge Jara nehmen die Farbsymbolik aus Tschaikowskis eigenem Libretto geradezu überdeutlich auf. Und die roten Rosen, die mangels vorgesehenem Garten in der Kugel nicht wachsen können, werden kurzerhand via einer porzellanen Traumfigur-Ballerina (Barbora Kohoutková) ins Innere geschmuggelt.

Überdosis Emotion

Draußen lauern unterdessen nicht nur die Militärs, sondern ebenso Russland-Klischees von Schnee bis Wodka und Kaviar, mit denen die Story gebührend ins Lächerliche gezogen wird. Ein kaum verhohlenes Grinsen ist auch zuweilen im Orchestergraben zu sehen, wo manchen Mitgliedern des ORFRadiosymphonieorchesters Wien Tschaikowskis Überdosis Emotion fast ein bisschen peinlich zu sein scheint.

Zu hören ist freilich nichts davon:Mit Vassily Sinaisky, Chefdirigent des Bolschoi-Theaters und Einspringer für Kirill Petrenko, musizieren sie die bläserlastige Partitur behände und duftig, werden dann allerdings erst beim zweiten Teil des Abends zu Hochtouren auflaufen. Hier entfesseln Dirigent und Orchester pralle, aber stets kontrollierte Wucht und Farbvielfalt, die weit über das auf der Bühne Gezeigte hinausreicht.

Doch erst wartet noch das märchenhafte Happy End des ersten Einakters, das freilich an der leisesten Stelle durch einen Schuss aus einem Sturmgewehr schockartig gestört wird. Wenn dann auch noch ein Sowjetstern am Himmel erscheint, ahnt man zur Pause, dass bei Rachmaninows Francesca da Rimini eine Fortsetzung folgen wird, und tatsächlich: Dantes Höllenfeuer wird zum sowjetischen Lageralltag umgedeutet, in dem stupide Sadisten ihr stumpfsinniges Handwerk der Unterdrückung verrichten.

Die Kugel findet indessen eine neue Funktion als prall mit roten Büchern gefüllten Bibliothek, in der das unglückliche, von einem bösen Bruder entzweite Liebespaar zueinander findet. Olga Mykytenko singt die Titelpartien beider Einakter ausgewogen, aber mit wenig Spannkraft, Saimir Pirgu ist in beiden Opern ihr Geliebter mit ebenso viel tenoralem Metall wie mit Kraftreserven für Spitzentöne. Die von Dmitry Belosselsky verkörperten Figuren bilden in beiden Fällen das Machtzentrum, erst als Iolantes Vater, dann als Francescas ungeliebter Gatte, dessen mächtiger Bass allerdings fast dauerhaft über das Ziel hinausschießt.

Die Tristesse des Prologs und des Epilogs lebt vor allen Dingen vom Arnold Schoenberg Chor, der seinen fast ausschließlich textlosen Part als luxuriöse Form des Aufschreis gestaltet, während die Sängerinnen und Sänger szenisch als ziemlich glaubhafte Individuen eingebunden sind. Doch über allem schwebt die Keule jener Machtmechanismen, die Lawless simpel und plakativ illustriert. Ein solches Bedienen von Klischees schrammt dann doch deutlich am Anspruch einer zeitgemäßen Opernästhetik vorbei. (Daniel Ender, DER STANDARD - Printausgabe, 21./22. Jänner 2012)