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Michaeil Gorbatschow bei einer Rede in Washington im April 1997.

Foto: REUTERS/Archiv

Moskau - Vor 25 Jahren, am 27. Jänner 1987, hat der damalige Parteichef Michail Gorbatschow mit einer Rede vor dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) seine Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau/Umgestaltung) eingeleitet. Dieser historische Reformkurs bedeutete auch das Ende der Sowjetunion.

25 Jahre später sieht der Friedensnobelpreisträger Gorbatschow (80), dessen Stimme in der heutigen Politik Russlands kaum noch gehört wird, in den jüngsten Massenprotesten gegen die Machthaber in Moskau die Chance für einen neuen Aufbruch in Russland. Das "Freiheits-Gen" lebe offenbar noch im russischen Menschen, sagte der Ex-Sowjetpräsident in einem Interview mit der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta", deren Miteigentümer er ist, Ende Dezember. "Es wird nicht gelingen, uns noch einmal einzuschüchtern", sagte Gorbatschow. Die Zeit sei reif, seine Politik der Perestroika aus den 1980er Jahren nun zu einem Ende zu führen. "Die Freiheit ist eine persönliche Ehre - und das wollten wir damals erreichen", führte Gorbatschow aus.

Am 8. April 1986 nahm Gorbatschow laut der russischen Agentur RIA Novosti das Wort "Perestroika" während einer Arbeitsreise nach Togliatti (Gebiet Samara) erstmals in den Mund, als er über die Lage im Land sprach. Damit kündigte er einen neuen politischen Kurs an.

Nach Jahrzehnten der Willkür und Unfreiheit in der Sowjetunion wollte Gorbatschow schon kurz nach seinem Amtsantritt 1985 das marode wirtschaftliche und politische System des Landes vor dem Zerfall retten und stabilisieren. Zudem gab Gorbatschow den Menschen in der starr von oben gelenkten Sowjetunion mehr Freiheiten.

Gorbatschows Initiativen der 1980er Jahre beendeten das atomare Wettrüsten der Supermächte, er entließ die Warschauer-Pakt-Staaten einschließlich der DDR in die Freiheit und machte damit das Ende des Kalten Krieges und die deutsche Wiedervereinigung möglich. Den Ländern des Warschauer Pakts ermöglichte Gorbatschow, ihre Staatsform selbst zu bestimmen. Zuvor waren Reformbewegungen wie der Prager Frühling in der Tschechoslowakei oder wie in Ungarn blutig niedergeschlagen worden.

Der Parteichef benannte zudem in einer für den Kreml bis dahin ungekannten Offenheit die Verbrechen unter Sowjetdiktator Josef Stalin, insbesondere das Massaker an tausenden polnischen Offizieren 1940 in Katyn. Er legte auch ein geheimes Zusatzprotokoll zum Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939 offen. Nach einem rund zehnjährigen militärischen Vorgehen am Hindukusch mit vielen Toten befahl er 1988 den sowjetischen Truppenabzug aus Afghanistan.

Gorbatschow wollte das in den Jahren unter Leonid Breschnew zum Stillstand gekommene System von innen heraus reformieren. Er trat mit dem Satz an, sein Land brauche die Demokratie "wie die Luft zum Atmen". Sein Irrtum war, dass dies nicht, wie von ihm erwartet, verschüttete Kräfte zur system-immanenten Erneuerung frei setzte. Zwar fegte er mit seiner Außenpolitik die seit dem Zweiten Weltkrieg etablierte Weltordnung hinweg, in der neuen gab es aber keine Sowjetunion mehr.

Statt "in das neue Jahrtausend als eine große und gedeihende Macht" einzutreten, zerbrach die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken bereits Ende 1991 nach einem Putsch der Apparatschiks und einem entschlossenen Gegenschlag der Reformer um den russischen Präsidenten Boris Jelzin, der sich dafür mit den nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Republiken verbündete.

Die von Gorbatschow initiierten wirtschaftlichen Reformen brachten der breiten Masse nicht den erwarteten Wohlstand, sondern ließen die Kluft zwischen Arm und Reich offen zu Tage treten. Durch Russlands plötzlichem Aufbruch in den Kapitalismus fanden sich viele Menschen in Armut wieder. Zu Gorbatschows umstrittenen Initiativen gehörte ein Alkoholverbot. Auch die zögerliche Informationspolitik nach der Reaktor-Katastrophe 1986 in Tschernobyl wurde ihm angekreidet.

Politische Widersacher nutzten die neuen Freiheiten, sich gegen die offizielle Linie zu formieren: Gorbatschow wurde schließlich von der um ihre Pfründe bangenden kommunistischen Nomenklatur und den Radikalreformern in die Zange genommen. Den einen ging seine Perestroika zu weit, den anderen nicht weit genug. Zwischen diesen Kräften wirkte Gorbatschow unentschlossen und als führungsschwacher Politiker ohne Machtinstinkt. Das Volk nannte ihn respektlos einen "Boltun" - einen Schwätzer. Noch heute sehen viele Menschen in Russland den Ex-Präsidenten als Zauderer, der das Land mit politischen Fehlern in Chaos, Hunger und Armut gestürzt hat. Der Zerfall der Sowjetunion 1991 bedeutete auch das Ende der Ära Gorbatschow.

Dieser verteidigte seine Reformpolitik der Perestroika, gestand aber auch Fehler ein. Gegenüber dem staatlichen Radio zeigte er sich vor zehn Jahren selbstkritisch: Die Reform der Kommunistischen Partei sei er zu langsam angegangen, gleiches gelte für die staatlichen Strukturen. (APA)