„Sein Ölreichtum könnte für Wohlstand und Sicherheit sorgen“ – mit diesen Worten hat ZiB1-Moderator Eugen Freund am Samstagabend den Bericht über die jüngste Bombenserie in Nigeria eingeleitet.

Die ORF-Redaktion sitzt hier einem weit verbreiteten Irrtum auf: Wenn Länder mit viel Öl oder anderen Rohstoffen in Armut und Gewalt versinken, dann ist das kein besonders unglücklicher Zufall, sondern beinahe unvermeidlich. „Ölfluch“ oder „Rohstofffluch“ wird das in der Wissenschaft genannt, und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als ehernes Gesetz erwiesen.

Warum machen Bodenschätze Länder arm statt reich?

Der Export dieser wertvollen Güter treibt vorerst einmal den Wechselkurs in die Höhe, ohne die eigentliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, und verhindert damit das Entstehen anderer profitabler Industrien. „Holländische Krankheit“ wird das genannt nach den Erfahrungen der Niederlande, die nach dem Entdecken von Erdgasvorkommen in den fünfziger Jahren von großen strukturellen Problemen getroffen wurden.

Ölproduktion und Bergbau schaffen grundsätzlich nicht viele Arbeitsplätze. Die Einnahmen konzentrieren sich in den Händen von wenigen, was die soziale Ungleichheit verschärft. Und in großen Staaten entstehen neben sozialen oft auch massive regionale Gegensätze, weil nicht alle Regionen vom Ölreichtum profitieren.

Meist fließen die Exporterlöse direkt in die Staatskassen, schließlich sind die meisten Ölkonzerne heute verstaatlicht. Der Zugang zu Staatsämtern wird daher hoch profitabel, und politische Macht kann leicht in persönlichen Gewinn umgesetzt werden. Das verstärkt die Korruption, ein weiteres Gift für jede Wirtschaft.

Ein Staat mit einer sicheren Einnahmequelle muss seine Bürger kaum besteuern. Das klingt angenehm, bedeutet aber auch, dass der Staat sich nicht viel um seine Akzeptanz in der Bevölkerung kümmern muss. Das wiederum fördert autoritäre, oft sogar diktatorische Regierungsformen. Und wer einmal an der Macht ist, gibt sie nicht mehr her. Friedliche Machtwechsel sind in Ölstaaten die große Ausnahme.

Aber das heißt nicht, dass nicht auch andere zum Futtertrog wollen, und das mit allen Mitteln. Ölstaaten sind daher trotz oft der harten Hand der Regierung instabil, erschüttert durch Machtkämpfe und sogar Bürgerkrieg.

Die Regierenden versuchen sich dann oft, die Unterstützung der Bevölkerung zu erkaufen. Ein beliebtes Mittel ist billiger Treibstoff. Das klingt für ein ölproduzierendes Land ja einfach und billig. Aber den Ländern fehlt es meist an Raffinerien, auch weil ölproduzierende Länder meist nicht die technische und Managementkapazität haben, komplexe Industrieanlagen zu bauen und zu betreiben.

Treibstoff wird daher teuer importiert und dann aus der Staatskasse subventioniert. Ein Großteil der Erdölexporteinnahmen fließt dann in diese Subventionen statt in Infrastruktur, Bildung oder den Aufbau eines Sozialsystems. Auch aus diesem Grund sind viele Ölstaaten hochverschuldet.

Iran, Venezuela, Irak, Libyen, Angola, Russland – für all diese Staaten trifft diese Beschreibung zu. Und kein Land ist mehr von all diesen Übeln gezeichnet als Nigeria.

Der jüngste Aufstand einer radikal-islamischen Sekte in Nord-Nigeria hat zwar mit der Ölproduktion nichts direkt zu tun, aber die früheren Unruhen im Delta sowie die jüngsten Proteste gegen Treibstoffpreiserhöhungen, mit denen Präsident Goodluck Jonathan die teuren Subventionen verringern wollte, sehr wohl. Und der Zorn im muslimischen Norden des Landes wird auch von der ungleichen Verteilung des Wohlstandes und der ungeheuren Korruption genährt.

Man kann es jedem Land der Welt nur wünschen, von Rohstoffen und vor allem Erdöl verschont zu bleiben. Die wohlhabenden, erfolgreichen Länder der Welt sind rohstoffarme Staaten wie Japan, die Schweiz, Singapur, oder auch Deutschland und Österreich. Der Kongo ist es nicht.

Norwegen ist eine Ausnahme. Es war schon hoch entwickelt, als Erdöl gefunden wurde, und ist auch heute dank seiner diversifizierten Wirtschaft nur zum Teil von der Öl- und Gasproduktion abhängig. Das gleiche gilt für das rohstoffreiche Australien.

Saudi-Arabien, Kuwait oder Abu Dhabi mögen zwar relativ reich sein, aber ihr Entwicklungsstand, gemessen am Human Development Index, hinkt dem Pro-Kopf-Einkommen dramatisch nach.

Deshalb steht etwa Brasilien jetzt vor der vielleicht größten Herausforderung seiner Geschichte. Es hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wettbewerbsfähigen Industrienation gemausert. Die großen Offshore-Erdölfunde der jüngsten Zeit bieten zwar durch neue Staatseinnahmen auch eine wirtschaftliche Chance, aber auch eine langfristige Bedrohung für die Stabilität und Prosperität des Landes.

Brasilien wird sich sehr genau überlegen müssen, wie es mit dem neuen Energiereichtum umgehen soll. Bisher ist es kaum einem Land gelungen, dem Ölfluch zu entkommen.