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Das Nature Theater of Oklahoma erzählt Zahnspangendramen der Jugend in mysteriöser Krimistimmung.

Foto: AP / Lilli Strauss

 

Wien - Die Nöte der Schnitzler- und Tschechow-Figuren können nicht wahrhaftiger oder gewichtiger sein als die Tragödie eines amerikanischen Teenagers, der eines Tages gegen seine über alles geliebte Katze allergisch wird. Das Mädchen hält den Kater mit Namen Bentley auf seinem Schoß, so lange, bis die Augen unfreiwillig tränen und, weil es ihm seine Zuneigung um alles in der Welt zeigen will, weit darüber hinaus.

Von solchen scheinbar banalen, auf die Tragweite eines jungen Lebens aber unabwendbar drückenden "Schicksalen" handelt das vor zweieinhalb Jahren am Burgtheater gestartete Durchschnittslebensepos Life and Times der New Yorker Gruppe Nature Theater of Oklahoma (Konzept und Regie: Kelly Copper und Pavol Liska). Aus Telefongesprächen mit der Schauspielerin und Freundin Kristin Worrall, die dem Regieduo in mehreren Etappen ihre Lebensgeschichte fernmündlich erzählt hat, entwickelten Copper und Liska eine auf insgesamt zehn Teile angelegte Theaterserie, die das ganz Normale eines Daseins zum Theaterstoff erhebt.

Darin steckt nicht nur eine politische Haltung, die dem Unaufregenden, den durch keinerlei Höhepunkte oder Außergewöhnlichkeiten geadelten Verhältnissen Bedeutung verleiht. Es entsteht damit auch ein demokratisches Theater, in dem sämtliche Lebensabschnitte gleichwertig behandelt werden. Noch vor zweieinhalb Jahren im ersten Teil stand die ganz normale Vorstadtkindheit in Providence, Rhode Island, am Plan, die Dramen eines Kindergartenkindes; Teil zwei widmete sich den Jahren bis 14, den Ängsten vor dem Ehe-Aus der Eltern und ersten Modesorgen.

Die gekoppelten Teile 3 und 4 umspannen nun die Jahre 14 bis 18: erste Küsse, Katechismus und Blockflötenunterricht. Die Inhalte haben an Langeweile nicht eingebüßt. Und da entlang entspinnt sich auch das formale Interesse dieses ganz außergewöhnlichen Theaterprojekts: Wie kann ich das für die Welt Durchschnittliche, für den Einzelnen aber höchst Exklusive auf der Bühne so gestalten, dass jemand dennoch interessiert zuhört?

Schatten wachsen bedrohlich

Dafür haben Kelly Copper und Pavol Liska einen guten Plan: Sie lenken die Aufmerksamkeit auf den nur Kleinkram beinhaltenden Text, indem sie ihn in eine von Suspense und Mystery durchdrungene Szene verfrachten - genau genommen: in das Bühnenbild von Agatha Christies Theaterstück Die Mausefalle. Auf einer biedermeierlich möblierten Bühne (Ausstattung und Licht: Peter Nigrini), auf der Schatten gefährlich die Wände hinaufwachsen und auf der die Schauspieler mit angstverzerrten Gesichtern und vom Gesagten entkoppelten Körperhaltungen agieren, erhält selbst der Besuch beim Kieferorthopäden seine Bedeutung.

Zur szenischen Verfremdung kommt noch die künstliche Modulation der auf alle acht, dem Agatha-Christie-Personal entsprechenden Schauspieler aufgeteilten Ich-Erzählung: Der Text wird (ähnlich wie im Fernsehen vom Teleprompter) von händisch gewechselten Schildern abgelesen. Das alles bleibt für die volle Länge von fünf Stunden anrührend und in Bewegung. Denn zur inneren Dramaturgie dieses Teenager-Alltags gehören auch Hochgefühle, wie beim Schulausflug nach London oder der Konfrontation mit der Freizügigkeit britischer Youngsters der 1980er-Jahre. Und diese erschließt sich das erstklassige deutsch-amerikanische Ensemble dann mit betörenden chorischen Gesängen (Musik: Robert M. Johanson, Dan Gower).

Und da halten die Burgschauspieler mitsamt ihren New Yorker Kollegen, was sie bisher versprochen haben: Mit den Mitteln der elitären Sprechtheaterbühne setzen sie virtuos experimentelle Verfahrenstechniken der "freien Szene" um: Fabian Krüger, Moritz Vierboom, Markus Meyer, Sabine Haupt, Anne Gridley, Julie LaMendola, Robert M. Johanson und Kristin Worrall (die Ich-Figur).

Dass das Sprechtheater stets nach Erneuerung sucht und dabei in freier Wildbahn recherchiert, ist erfreulich, dass es - wie in diesem Fall - auch noch auf die Bestmöglichen trifft, fast schon ein Wunder. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD/Printausgabe 23.1.2012)