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Die Bewältigung der Schuldenkrise könnte direkt auf Kosten des Sozialstaats gehen, der soziale Menschenrechte wie Schutz vor Armut und Recht auf einen adäquaten Lebensstandard absichern soll.

Foto: AP/Hans Punz

Der Wirtschaftsausblick auf 2012 macht wenig Mut. Von drohender Rezession im Euro-Raum ist die Rede, Österreich hat bei Standard & Poors sein Triple-A-Rating verloren und der Plan für eine Schuldenbremse samt laufender Sozialpartnergespräche darüber lassen erahnen, dass auch hierzulande so manche geldbörselrelevanten Einschnitte drohen. Noch ist die Hoffnung nicht tot, dass diese keine allzu dramatischen sozialen Verwerfungen zur Folge haben - aber sie nimmt ab.

Denn offenbar ist bei den Sparmeistern der Republik die Versuchung vorhanden, den Rotstift bei Menschen anzusetzen, die sozial ziemlich weit unten stehen. Zumindest werden Sparmaßnahmen an den für sie existenzwichtigen Netzen sozialstaatlicher Absicherung nicht ausgeschlossen.

Soziale Menschenrechte kaum im Fokus

Das gibt für die Befürchtung Anlass, die Bewältigung der Schuldenkrise könnte direkt auf Kosten des Sozialstaats gehen. Obwohl dieser eine Reihe sozialer Menschenrechte wie Schutz vor Armut und Recht auf einen adäquaten Lebensstandard absichert: Menschenrechte, über die weit weniger gesprochen wird als über die politischen, wie zum Beispiel jenes auf Meinungsfreiheit.

Die sozialen Menschenrechte sind bisher auch nicht vergleichbar einklagbar wie die politischen. Dies zu ermöglichen wäre angesichts der weltweit massiven Umverteilung des Reichtums nach oben und der zunehmenden Verarmung breiter Schichten übrigens höchst interessant .

Zeitlich begrenzen

In Österreich nun wurde als Beitrag zur Budgetkonsolidierung in Zeiten der Schuldenkrise vergangene Woche die Idee publik, die Ausgaben für die Notstandshilfe zu verringern. Für jene Unterstützung, die ausbezahlt wird, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.

Notstandshilfe wird auf Antrag für jeweils 52 Wochen gewährt, wenn die Voraussetzungen dafür bestehen - aber das ohne zeitliche Obergrenze. Dadurch soll verhindert werden, dass Personen, die keinen Job mehr finden, aus der "Arbeitslosen" ausgesteuert werden. Bestimmend für diesen unbegrenzt langen Bezugszeitraum waren die Erfahrungen in den 1930er-Jahren, als abertausende arbeitslose Österreicherinnen und Österreicher nach Ende des Anspruchs auf Bezug ins Elend stürzten und leichtere Beute für die Nationalsozialisten wurden.

Vergangenen Mittwoch kam die Nachricht auf, dass in einem SPÖ-internen Papier 500 Millionen Euro Sparpotenzial ab 2013 durch Begrenzung der Notstandshilfe auf vier Jahre ermittelt worden seien - der Kurier berichtete darüber.

Sozialhilfe

Die ausgesteuerten Notstandshilfebezieher sollten anschließend bedarfsorientierte Mindestsicherung - alias Sozialhife - beziehen: Eine subsidiäre Geldleistung, die zwar mit dem Anspruch eingeführt wurde, das Menschenrecht auf soziale Absicherung in Österreich zu stärken, die aber unter anderem mit dem Makel behaftet ist, dass vor der ersten Auszahlung Erspartes über das Fünffache des Monatsbezugs hinaus aufgebraucht werden muss: Für Menschen, die sich etwa für ihren Lebensabend ein wenig Geld zusammengespart haben, ein Armutsförderungsprogramm.

Nachfragen des Grünen Sozialsprechers Karl Öllinger, der dies als einen Tabubruch betrachtet, ergaben, dass derlei Rechnungen bei den Sozialdemokraten tatsächlich aufgestellt worden seien - auf Wunsch von Koalitionspartner ÖVP. Ernsthaft auf Umsetzung gesonnen habe man jedoch nicht, hieß es bei Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ).

So weit, so bedenklich. Denn auch, wenn der Notstandshilfen-Alarm vorerst ins Leere gegangen ist - allein die Existenz einer entsprechenden sozialdemokratischen Rechenübung zeugt von einem erschreckenden Perspektivenmangel bei jener Partei, die die Entwicklung des österreichischen Sozialstaats entscheidend bestimmt hat. Das ist in ihren Reihen offenbar in Vergessenheit geraten, zu einer Zeit, wo es Not tut, den Sozialstaat zu erhalten - ja, ihn auszubauen.

Systemisches Problem

Denn die Spekulations-/Finanz-/Wirtschafts-/Banken-/Schuldenkrise von heute ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern ein systemisches Problem. Ein paar Jahre Sparen werden nicht reichen, um sie zu bewältigen. Vielmehr steht zu befürchten, dass aufgrund der zu erwartenden, sich wiederholenden Wirtschaftseinbrüche auch in Europa weiter Lohnabhängige - wie es so schön heißt - freigesetzt werden, oder aber so wenig verdienen, dass sie auf ein sozialstaatliches Zubrot angewiesen sind. Immer mehr Bezieher bedarfsorientierter Mindestsicherung sind derartige Working Poor.

Dass es sozialstaatliche Leistungen gibt, ist ein Umstand, den man angesichts dessen nicht genug hochschätzen kann. Derartige Hilfen, um die Unbillen des freien (Arbeits)markts für Nicht-Reiche abzufedern, machen in Europa den wichtigsten Unterschied zwischen heute und früher aus. Ansonsten erinnert heute leider einiges an die Ausweglosigkeit der Wirtschaftskrise von vor 80 Jahren. (Irene Brickner, derStandard.at, 22.1.2012)